Auf dem Weg zum Überwachungsstaat
SPIEGEL-Redakteur Hans-Wolfgang Sternsdorff über die „Aktion
Paddy“ und die Videofahndung der Polizei
Die Gefahren des „großen Bruders“ sind nicht mehr bloß
Literatur. Sie sind nach dem heutigen Stand der Technik real. Horst Herold,
von 1971 bis 1981 Präsident des Bundeskriminalamtes, im Juni 1980.
Vom Ufer des Neckars steigt die schmale Straße schon bald steil
an. Weiter oben, an der Bergkirche vorbei, führt die Wolfsbrunnensteige
dann gleich in den Wald. Der Hang geht hinauf bis zum Königstuhl.
Rechts, auf halber Höhe, ist es nur ein Fußweg von 20 Minuten
zum Heidelberger Schloss.
Der Ortsteil Schlierbach liegt malerisch am Hang über dem Fluss,
ein grünes Refugium für Pensionäre und Professoren der
Ruprecht-Karls-Universität – abseits von Touristenlärm
und hochgepäppelter Weinstuben-Romantik.
Unten, wo es zum Fluss geht, verläuft die Wolfsbrunnensteige 200
Meter parallel zur Bahnlinie Heidelberg-Jagstfeld. Hinter der Unterführung
mündet sie in die starkbefahrene Schlierbacher Landstraße,
die am Neckar entlang und am Karlstor vorbei ins Stadtzentrum führt.
Die Ecke Wolfsbrunnensteige/Schlierbacher Landstraße ist mit einer
Ampelanlage gesichert.
Eine Leiter lehnt am Ampelmast. Der Schaltkasten für eine Blitzlichtanlage
wird montiert. Abgestellt auf dem Bürgersteig ein VW-Passat, Rückfenster
hochgeklappt, Werkzeug und Gerätschaften ringsum. An der Wagentür
haftet ein Magnetschild: „Geoplan, Planung – Beratung“.
Das Schild dient der Tarnung. Der Wagen, mit Funktelefon und auswechselbarem
Karlsruher Kennzeichen KA-YA 798, ist ein Fahrzeug vom Bundesnachrichtendienst
(BND) in Pullach, der Monteur auf der Leiter ein Mann vom Geheimdienst.
Er baut keine Blitzlichtanlage ein.
Im neuen Schaltkasten – mit einer winzigen Öffnung in Richtung
Eisenbahnunterführung – ist eine Videokamera versteckt.
Zweihundert Meter oberhalb stehen rot-weiße Warnhütchen auf
der Wolfsbrunnensteige. Vier Männer vom Bundeskriminalamt (BKA) in
unauffälligen Monteurkitteln fräsen quer über die Fahrbahn
eine Rinne in den Asphalt, zwei Zentimeter breit und drei Zentimeter tief.
Sie verlegen ein Videokabel und verschmieren den Spalt mit Racofix, einem
Schnelltrocken-Zement.
Neben den Bahngleisen harkt ein Arbeitstrupp den Schotter. Auch hier werden
Videokabel verlegt. Als kurz nach dem Eilzug aus Jagstfeld plötzlich
noch ein Gegenzug herandonnert, werden zwei BKA-Leute fast überfahren.
Der Lokführer gibt ein Warnsignal.
Zwanzig Minuten später ist die Bahnpolizei zur Stelle. Die aufgebrachten
Beamten wollen wissen, was hier am Gleiskörper vor sich geht. Knappe
Antwort: „Wir sind vom BKA und müssen Leitungen verlegen. Die
Bundesbahndirektion hat Bescheid aus Wiesbaden erhalten.“
Die Auskunft war falsch. „Aber es genügt in solchen Fällen
eigentlich immer“, erzählt ein BKA-Insider, „wenn wir
das Stichwort `Bundeskriminalamt` nennen. Das ist wie ein Zauberwort –
prompt läuft alles wie geschmiert, und keiner fragt mehr irgendwas.“
Auch die Heidelberger Bahnpolizisten geben sich zufrieden. Mehr hätten
sie ohnehin nicht erfahren. So brisant und geheim ist die BKA-Aktion,
dass auch keine der betroffenen Amtsstellen nähere Informationen
erhalten darf.
Vierhundert Meter oberhalb der Bahnstrecke, gegenüber der Bergkirche,
liegt das Grundstück Wolfsbrunnensteige 8. Die hellgraue Villa aus
der Gründerzeit steht in einem parkartigen Gelände mit altem
Baumbestand.
Dort wohnt der amerikanische Vier-Sterne-General Frederick J. Kroesen,
59, Oberbefehlshaber der US-Armee in Europa.
Spätestens seit Oktober 1980 gehört Kroesen zu den besonders
gefährdeten Personen. Den Terrorfahndern war in einer konspirativen
Wohnung in Heidelberg ein Strategiepapier der RAF und eine Blaupause vom
Grundriss der US-Kaserne „Hammonds Barracks“ in Mannheim-Seckenheim
in die Hände gefallen. Zu dieser Zeit war in dem Kasernenkomplex
der Nato-Führungsstab untergebracht.
In einem internen BKA-Bericht „Amtlich geheimgehalten“, Referat
TE 32, Az. 6452.07 – notiert der Leitende Kriminaldirektor Zabel,
Chef der Abteilung für Fahndungsprogramme, am 8. Januar 1981 :
Die Tatsache des Fundes im terroristischen Schriftmaterial beweist die
zielgerichtete Beschaffung. In Verbindung mit den anderen zahlreichen
Hinweisen auf Veranstaltungen im amerikanischen Bereich in und um Heidelberg,
speziell aber auch dem Patrick-Henry-Village, Wohnsitz mehrerer potentieller
Opfer, müssen diese Fakten insgesamt als Beweis für konkrete
Anschlagvorbereitungen gegen die Institutionen der multinationalen Führungsstäbe
und ihre Leiter gewertet werden.
Fünf konspirativ getarnte Videokameras werden allein zur Absicherung
der Kroesen-Villa eingebaut.
Kamera 1 im Blitzampelkasten deckt die Einfahrt von der Uferstraße
in die Wolfsbrunnensteige ab. Die mit einer starken Zoom-Optik ausgestattete
Kamera, die jedes Bild bei Bedarf auch noch zehnfach vergrößern
kann, ist auf die Bahnunterführung gerichtet. Die Kennzeichen aller
ein- und ausfahrenden Fahrzeuge können abgelesen, Gesichtszüge
und Verhalten der vorbeikommenden Personen kontrolliert werden.
Kamera 2 wird in einen Siemens-Schaltkasten eingebaut und an der Mauer
der Bahntrasse befestigt. Von hier lässt sich der schluchtartig verlaufende
Straßenzug der Wolfsbrunnensteige optimal einsehen: Abgestellte
und möglicherweise mit Sprengstoff präparierte Fahrzeuge können
sofort geortet werden.
Kamera 3 verstecken die BKA-Techniker in einem alten Ölfass, das
sie zuvor in Wiesbaden zum Geheim-Container umgerüstet hatten. Postiert
wird es auf dem Kroesen-Grundstück oberhalb der Umfassungsmauer.
Von hier ist der Ausblick über den oberen Straßenabschnitt
am besten.
Kamera 4 und 5 sind im Eingangsbereich der Kroesen-Villa zehn Meter hoch
in zwei vom Bundeskriminalamt eigens dafür konstruierten Vogelhäuschen
untergebracht. Einstellbare Umlenkspiegel in den Vogelkästen gewährleisten,
dass jeweils verschiedene Straßenausschnitte optisch perfekt erfasst
werden können.
Doch abzusichern war nicht nur der Wohnsitz des Vier-Sterne-Generals Kroesen
in Heidelberg-Schlierbach. Das „Objekt1“ im geheimen Fahndungsplan
dieser ersten „Flächendeckenden Video-Observation“ (BKA)
war nur ein Teilstück in jenem völlig neuartigen Überwachungssystem,
für das es selbst im internationalen Maßstab im Polizeibereich
und auch bei den Geheimdiensten bisher kein Beispiel gab.
Fünf Kilometer südwestlich vom Stadtzentrum, längs der
Autobahn Heidelberg-Karlsruhe, liegt die US-Siedlung Patrick-Henry-Village,
eine Wohn- und Schlafstadt für Armeeangehörige mit Siedlungsblöcken
und Einfamilienhäusern. Hier, im Umkreis von etwa einem Kilometer,
wohnten vier weitere gefährdete Generäle aus dem Nato-Führungsstab
(„Objekt2“)
„Objekt 3“ liegt sogar 20 Kilometer weit entfernt: Mannheim,
Wilhelm-Leuschner-Straße 30. Dort, in einem Villenvorort zwischen
Grünanlagen, wohnt der Generalmajor der Britischen Streifkräfte,
Michael F. Reynolds.
Das Geheimunternehmen läuft im Bundeskriminalamt intern unter dem
Kode-Namen „Aktion Paddy“. Es markiert den Einstieg in ein
neues Zeitalter der Überwachung.
Insgesamt zehn einzelne Beobachtungspunkte (Wohnhäuser und Straßenabschnitte),
geographisch in einem Umkreis von 30 Kilometern verstreut, waren gleichzeitig
und auf unbestimmte Dauer – tatsächlich lief die Aktion über
mehr als sechs Monate – optisch so zu observieren, dass sämtliche
Veränderungen in den gewohnten Lebensabläufen festgestellt werden,
weil daraus Hinweise auf Planung und Vorbereitung von Gewaltanschlägen
abzuleiten sein könnten.
Mehr noch: Erstmals sollten alle optisch erfassten Geschehensabläufe
zugleich auch festgehalten, elektronisch gespeichert und für die
Erstellung von Fahndungsrastern ausgewertet werden.
Der Schlüssel zur Lösung der kriminaltaktischen Sonderaufgabe
lag in der schnellen Entwicklung der modernen Videotechnik. Das größte
Problem bestand darin, die Filmstreifen sämtlicher dreizehn Videokameras
live zur Aufzeichnung und Datenauswertung an die Observationszentrale
im Heidelberger Stadtzentrum zu übermitteln.
Erfahrungen mit der Übertragung von Videosignalen über so große
Entfernungen gab es bei den Sicherheitsbehörden nicht. Aufgebaut
wurde ein Übertragungsnetz, bei dem sämtliche Techniken für
die Übermittlung von Bildsignalen im Mischbetrieb eingesetzt waren:
Schwarz-Weiß- und Farb-Videobilder kamen schließlich über
mehrere Funkstreckenwege, über Laserstrahl und – was selbst
die Bundespost für technisch undurchführbar hielt – sogar
über Telefonkabel auf die Monitore in der Zentrale.
Die Zusammenarbeit der Polizei mit den Nachrichtendiensten gestaltete
sich auf dem kurzgeschlossenen Amtsweg enger, als es nach der verfassungsrechtlich
gebotenen Aufgabentrennung zulässig ist. Zwar hatten die Geheimdienstler
kaum Brauchbares an Gerätschaften beizusteuern, halfen aber vor Ort
mit handwerklichem Können aus, um bei der Entwicklung der neuen Wunderwaffe
auch gleich Know-how für den Eigenbedarf abzuluchsen. An den geheimen
Lagebesprechungen in Wiesbaden nahmen stets Herren von Bundesnachrichtendienst
und Verfassungsschutz teil.
Das BKA vergab Entwicklungsaufträge an die Industrie, beschaffte
sich Spezialkameras in Sonderanfertigung und graste auf der Suche nach
immer ausgefallenerer Kriminaltechnik den Weltmarkt ab. Gesamtkosten der
„Aktion Paddy“, einschließlich Personalaufwand: mindestens
eine Million Mark.
Die moderne Videotechnik, als Spielzeug der Überflussgesellschaft
und Heimkino des Bürgers bar jeder Bedrohlich, ist mittlerweile fest
im Griff der Staatsgewalt: das ideale Instrument zum Ausspähen, wer
oder was auch immer in dieser Gesellschaft von der Norm abweicht.
Über Jahre hinweg war die vom einstigen BKA-Chef Herold bedenkenlos
betriebene Computerfahndung mit seinem allgegenwärtigen „elektronischen
Schleppnetz“ ein Reizthema dieser Republik gewesen. Als schließlich
ruchbar wurde, dass auch Tausende gänzlich unbescholtener Bürger
in seine Verdachtsfallen geraten waren und der überzüchtete
Fahndungsapparat der politischen Kontrolle zu entwachsen drohte, wurde
Herold gestoppt und aus dem Amt gedrängt – „die vielleicht
wichtigste Entscheidung in unserer ganzen Regierungszeit“, wie einer
der engsten Mitarbeiter des liberalen Ex-Innenministers Gehart Baum resümiert.
Mit dem Griff nach der Videotechnik ist Herolds Kriminalphilosophie von
der transparent und damit beherrschbar zu machenden Gesellschaft inzwischen
wiederauferstanden. Das neue System stößt an keine technischen
Grenzen mehr.
Der Plan zur Verkabelung der Republik mit einem „Breitbandigen Integrierten
Glasfaser-Fernmelde-Ortsnetz“ (Bigfon), vorangetrieben vom christdemokratischen
Postminister Schwarz-Schilling im Verein mit seinem CSU-Kollegen Zimmermann
(„Es wird keine Einschränkungen des Ausbaus mehr geben“)
als oberstem Dienstherrn für Bundespolizei und Verfassungsschutz,
ist jedenfalls ein Programm, das auch die Voraussetzungen zur totalen
Überwachung dieser Republik bereitstellt.
Der im Bild erfasste Mensch, sein Gesicht, seine Bewegungen und Handlungen
amtlich abrufbar gespeichert – das sind Meilensteine auf dem Weg
zum Überwachungsstaat.
Entworfen war das System, um Verbrecher einzufangen – oder wen Polizisten
dafür halten mögen. Aber das neue Bildernetz macht potentiell
alle zu Betroffenen. Es fängt Schuldige wie Unschuldige ein, und
der Missbrauch liegt schon im System. Orwells Schreckbild vom „gläsernen
Menschen“ ist Wirklichkeit geworden.
Die „Aktion Paddy“ blieb denn auch kein Einzelfall. Seither
wurde die Privatsphäre Tausender von Bürgern ausgespäht.
Friedliche Demonstranten sind ebenso darunter wie Mitglieder von Wohngemeinschaften
und harmlose Passanten in Bahnhofspassagen. Kaum einer ahnt davon. Doch
das Bildernetz wird ständig weiter ausgebaut.
Für die technische Gesamtplanung war im Bundeskriminalamt ein Entwicklungsingenieur
verantwortlich: Bern Rainer Schmidt, 31. Er hatte ein paar Jahre Erfahrung
aus der optischen Industrie mitgebracht, als er 1979 beim BKA eintrat.
In Wiesbaden kam Schmidt gleich in die Abteilung KI 15 beim „Kriminalistischen
Institut“ – Teil jener kriminaltechnischen Bereiche, die für
Herold das Herzstück seines ganzen Amtes sind, das „enorme
Möglichkeiten eröffnet“ und ihm gar die „partielle
Verwirklichung eines kulturellen Anspruchs“ in Aussicht stellte.
Zum Aufgabenbereich des jungen Physikingenieurs gehörten in erster
Linie die „Planung, Entwicklung und Konstruktion von elektronisch-optischen
Geräten und Übertragungssystemen nach operativ-taktischen Erfordernissen“.
Aber Bernd Schmidt wurde auch mit dem Aufbau „eines technisch-optischen
Erprobungs- und Entwicklungslabors“ betraut, er musste den Weltmarkt
nach jeder Neuentwicklung in der Videotechnik im Auge haben, die Wärmebild-
und Farbvideo-Technik für Überwachungsmaßnahmen erproben,
den Informationsaustausch mit Sicherheitsbehörden im In- und Ausland
pflegen und auf Vorträgen dafür sorgen, dass die Resultate seiner
Forschungs- und Entwicklungsarbeit auch bei den Polizeibehörden der
Länder bekannt und in die Praxis umgesetzt wurden.
Seine Vorgesetzten beim Bundeskriminalamt waren von ihrer Neuerwerbung
begeistert. In einem Dienstzeugnis vom März 1982 heißt es:
Herr Schmidt geht die Problemstellung seines Arbeitsgebietes systematisch
und zielstrebig an. Dabei zeigt er ein hohes Maß an Eigeninitiative
und Selbständigkeit ... Herr Schmidt ist in der Lage, komplexe und
fachübergreifende Sachverhalte im Kern zu erfassen. Bei der Problemlösung
verwirklicht er ideenreich eigene Vorstellungen. Dabei urteilt er selbständig
und ausgewogen ... Sein gediegenes Fachwissen findet im Kreis der Mitarbeiter
und bei den Fachabteilungen des Amtes Anerkennung ... Besonders auffällig
ist seine positive Grundeinstellung.
Inzwischen hat sich seine Grundeinstellung gewandelt. Bernd Schmidt spricht
heute anders über seine Arbeit: „Ich habe allmählich mitgekriegt,
dass es nicht nur um den Schutz der Generäle ging. Mein Wissen wurde
missbraucht. Die von mir aufgebaute Technik wurde das Instrument für
einen Überwachungsapparat, dem keine Grenzen mehr gesetzt sind. Als
ich sah, welche sozialpolitischen Dimensionen das annimmt, konnte ich
einfach nicht länger mitmachen.“
Abrupt brach er’s eine Karriere ab und kündigte beim BKA. Entwicklungsingenieur
Bernd Schmidt ist der erste prominente Aussteiger beim Bundeskriminalamt.
„Ich werde mich nicht verstecken“, sagt er heute, „ich
stehe zu meiner Überzeugung und halte es für meine Pflicht,
öffentlich vor einer Entwicklung zu warnen, die ich selber in Gang
gebracht habe. Persönlich werde ich daraus nur Nachteile haben; selbstverständlich
lasse ich mich dafür nicht bezahlen, und was mir das alles an Folgen
eintragen wird, muss ich in Kauf nehmen.“
Die „Aktion Paddy“ bildete für das Bundeskriminalamt
den Auftakt zu einer neuen Ära der Kriminaltechnik mit praktisch
unbegrenzten Möglichkeiten. „Aufgrund der zwingenden praktischen
Lagevoraussetzung“, heißt es in einem BKA-internen Aktenvermerk,
„wurde die Technik ohne Erprobungsphase direkt als operativ verwendbares
System entworfen.“
Die Bundespost ließt bereitwillig ihr Telefonnetz anzapfen, baute
auch selber die notwendige Technik zur Übermittlung der Observationsbilder
mit ein und nahm einen Bruch des Fernmeldegesetzes in Kauf. Breitband-Stromwege
dürfen nur für eine Mindestüberlassungsdauer von fünf
Jahren gemietet werden. Das aber war der Polizei zuviel, denn so lange
würde sich die RAF bei den Generälen wohl nicht auf Lauer legen
wollen.
Im Bonner Postministerium erteilte der Ministerialbeamte Kohlstock die
Erlaubnis für eine Fernsehfunk-Anlage mit Infrarot-Laser und auch
„ausnahmsweise und unter Zurückstellung meiner erheblichen
Bedenken“ eine „Versuchsfunkgenehmigung“ zum „Errichten
und zum Betreiben von Fernseh-Funkanlagen des nichtöffentlichen beweglichen
Landfunkdienstes“.
Wegen „der besonderen Sachlage“ sah der Beamte „in diesem
Fall davon ab, die Genehmigung von der schriftlichen Zustimmung des Bundesministers
des Inneren abhängig zu machen“, nur – in Geldsachen
auch bei höchster Gefahr noch korrekt – auf Ausstellung der
Rechnung wollte er nicht verzichten: „Die Genehmigungsgebühr
beträgt monatlich 8 DM.“
Oben am Wachhäuschen vor dem Kroesen-Wohnsitz wurden die Bildsignale
aller fünf Kameras zusammengefasst und in das dort vorbeiführende
Telefonleitungsnetz der Nato eingespeist. Aber auch bei der US-Armee sind
die Telephonkabel nur für Tonübertragung ausgelegt, so dass
die BKA-Techniker immer wieder Zwischenverstärker einbauen mussten,
um ihre Videobilder auf der Telefonschiene zu übermitteln.
Das Nato-Kabel führt zum US-Headquarter nach Heidelberg, verläuft
sechs Kilometer lang quer durch den Wald und liegt einen Meter tief im
Erdreich verbuddelt. Tagelang hoben die Männer aus Wiesbaden den
Waldboden aus, pulten aus dem Gewirr von zweihundert Leitungspaaren die
richtigen heraus, justierten Kontrast und Trennschärfe der Bilder
und bauten Signalverstärker in wasserdichte Kunststoffkästen
ein.
Die Observationszentrale für das gesamte Überwachungssystem,
wo am Ende sämtliche Videobilder aus allen drei „Objektbereichen“
– Kroesen-Wohnsitz, Patrick-Henry-Village und Mannheimer Generalsvilla
– zusammenliefen, richteten die BKA-Leute „als polizeieigene
konspirative Wohnung“ (BKA-Vermerk) im Gebäude des Counter
Intelligence Corps (CIC), der Sicherheitspolizei der US-Armee, in der
Römerstraße gegenüber dem Headquarter ein.
Im Patrick-Henry-Village (PHV), der eintönigen amerikanischen Wohnsiedlung
längs der Autobahn, sollten gleich vier Generalsvillen mit Geheimkameras
überwacht werden. Bester Standort für die Tarnbehälter,
aus denen ein optimaler Rundblick über Häuser und Straßenzüge
möglich war, waren hier die Straßenlaternen.
Beim Versorgungsingenieur der US-Truppe beschafften sich die BKA-Techniker
komplette Oberteile solcher Laternen und ließen sie in der Werkstatt
des Bundeskriminalamtes umbauen. Ins Kunststoffglas der Lampenschirme
wurde ein Loch eingeschnitten, das der Größe des Kameraobjektives
entsprach. Eingebaut wurden Newvicon-Restlichtkameras zum Stückpreis
von 3.000 Mark, die selbst noch im Dämmerlicht bei Helligkeitswerten
von nur mehr 1 Lux gestochen scharfe Videobilder liefern.
Trotz fortgeschrittener Miniaturisierung waren die Kamera-Modelle immer
noch so groß, dass die Glühlampen nicht mehr mit in den Schirm
passten. Tagelang hatten die Anwohner das Verlegen der Kabel und die aufwendigen
Bauarbeiten an den Straßenlampen mitverfolgen können. Nun,
nach Abschluss aller „Reparaturen“ blieben Abend für
Abend vier Laternen plötzlich dunkel. Doch es kam nicht zu Reklamationen.
Oben auf dem Schornstein des alten Heizwerks sollte zusätzlich noch
eine Infrarot-Wärmebildkamera installiert werden. Das hochempfindliche
Gerät arbeitet auch nachts bei vollständiger Dunkelheit. Anstelle
von Lichtimpulsen zeichnet es Wärmestrahlungen auf. Die Infrarot-Strahlung
ist für das menschliche Auge nicht wahrnehmbar. Aufgrund ihrer physikalischen
Eigenschaften durchdringen diese Strahlen auch lichtundurchlässige
Materialien.
Moderne Infrarot-Kameras können mit ihren Detektoren bereits extrem
geringe Wärmestrahlen wahrnehmen. Es gibt schon heute sogenannte
Thermographie-Kameras, die Temperaturunterschiede von nur 0,01 Grad Celsius
auflösen und bildlich darstellen können.
Statt des üblichen Abbildes von einem Gegenstand wird die von seiner
Oberfläche abgegebene Infrarot-Strahlung aufgezeichnet und sichtbar
gemacht. Wärmere Flächen erscheinen dabei heller, kältere
dunkler. Im Heidelberger PHV sollte die Infrarot-Kamera Personen aufspüren,
die sich nachts womöglich durchs angrenzende Kornfeld anschleichen.
Auf dem Monitor ließe sich im Idealfall auch erkennen, ob die dunkle
Gestalt wohl bewaffnet ist: MP oder Revolver – weil das Metall kälter
ist – zeichnen sich als dunkler Umriss deutlich von den umgebenden
Körperkonturen ab.
Eine dieser Kameras, die von der britischen Kriegsgeräte-Firma Marconi
hergestellt werden und etwa 30.000 Mark kosten, gehört zum kriminaltechnischen
Fundus des BKA. Sie wird meist bei Hubschrauberflügen eingesetzt,
etwa über schwer einsehbaren Waldstücken in Grenznähe,
wenn Schmuggler geortet werden sollen. Doch das teure Stück kam aus
organisatorischen Gründen bei „Paddy“ nicht zum Einsatz.
Die Videobilder aller vier Kameras, die in den umgebauten Laternen surrten,
wurden mit Bonner Sondergenehmigung vom PHV über das Telefonnetz
der Bundespost zur fünf Kilometer entfernten Observationszentrale
übermittelt. Trotz höchster Gefahrenlage nicht umsonst: 2.500
Mark an monatlicher Kabelmiete stellt die Post den Terrorfahndern in Rechnung.
Die mit Abstand heikelste Aufgabe aber bei der ersten „flächendeckenden
Video-Observation“ mit zentralgesteuerter Kameraüberwachung
lag in der Absicherung von „Objekt 3“, dem Wohnsitz des britischen
Generalmajors Reynolds in Mannheim. Es war da aufwendigste Teilstück
im Überwachungsnetz der Polizei und zugleich der Vorstoß in
ein kriminaltechnisch unerforschtes Neuland.
Die Villa am Stadtrand in der Wilhelm-Leuschner-Straße 30 ist von
drei Seiten zugänglich und lag 20 Kilometer Luftlinie von der Observationszentrale
in Heidelberg entfernt – zu weit, um die Bildsignale dorthin per
Kabel zu übermitteln.
Für Kamera 10 baute das BKA einen Spezialpapierkorb mit doppeltem
Boden, ob ein Plastikeinsatz mit Holzverzierung, unten Metall. Ins Unterteil
wurde die Kamera eingepasst, die Stromzuführung kam aus dem einbetonierten
Ständer. Den Tarnbehälter stellten die Kriminaler am Rand des
öffentlichen Spazierwegs auf, der hinter der Reynolds-Villa durch
die Grünanlagen führt. Zwar lag das Objektiv nur 20 Zentimeter
über dem Boden, konnte aber sämtliche Spaziergänger erfassen;
gelegentlich und in Nahaufnahme allerdings auch Hunde, die an der kostspieligen
Apparatur respektlos das Bein hoben.
Eine weitere Kamera kam in einen leeren Postverteilerkasten, den das BKA
an der Straßenfront vor dem Haus montierte. Mit der eingebauten
Zoom-Optik konnten nicht nur alle herankommenden Fahrzeuge und Personen
ausgemacht, sondern auch der Erfassungsbereich des Objektivs variiert
werden.
Kamera 12 und 13 waren in einer „Black Box“ verborgen, einem
mit getontem Glas getarnten Container, der an der Balkonbrüstung
des Hauses angebracht wurde. Im Glas-Gehäuse steckte zusätzlich
noch eine Photokamera, die im Bedarfsfall hochwertige Fahndungsphotos
schießen konnte.
Die Kameras in der „Black-Box“ waren eigens auf einen Schwenk-Neige-Kopf
montiert, der einen Schwenkwinkel von 180 Grad ermöglichte, und überdies
mit so starker Zoom-Optik ausgerüstet, dass die Bewegungen aller
vorbeigehenden Passanten verfolgt, ihre Gesichter aber auch ins Großformat
herangeholt und mit Passbild-Qualität in der Zentrale abgespeichert
werden konnten.
Die Kameras wurden über Funk-Fernsteuerung direkt aus der Observationszentrale
in Heidelberg bedient – sogar für den BND war das eine Uraufführung.
Auch die Umschaltung von einer Kamera auf die andere lief per Funk-Fernsteuerung
über Polizei-Sprechfunkkanäle aus 20 Kilometer Entfernung. Die
Sprechfunkgeräte übermittelten ihre Signale kodiert nach Mannheim,
und dort wurden sie von der eingebauten Funkschaltautomatik der Kameras
in die entsprechenden Befehle übersetzt
.
Hatte der Observationsbeamte in der Zentrale die Farbkamera angewählt
und mit zehnfacher Zoom-Vergrößerung gerade die Gesichtszüge
eines Spaziergängers erfasst, so konnte er durch einfaches Umschalten
auf die andere Fernsehkamera vor Ort gleich auch wieder ein großes
Übersichtsbild empfangen und sehen, wo der Mann hinläuft. Zudem
ließ sich per Funksignal mit der Photokamera auch noch ein exzellentes
Fahndungsphoto schießen.
Die Überwachungszentrale in Heidelberg lag ungünstig –
mitten im bebauten Stadtgebiet. Selbst auf dem Dach kamen die Video-Funkbilder
zunächst nur schemenhaft und mit Störungen an. Auf einem zwei
Kilometer entfernten Sendeturm der US-Armee bauten die BKA-Techniker auf
Weisung von Schmidt deshalb ein Empfänger-Relais als Zwischenstation
auf. Von dort wurden die Videobilder über Laserstrahl zur Zentrale
gesendet.
Die Laserstrecke kostete zwar noch einmal 60.000 Mark; aber „das
Bild war phantastisch“ schwärmt der Physikingenieur Schmidt
noch heute, und – weil „obendrein absolut konspirativ, es
kann nicht abgehört werden“.
Gereizt hatte die BKA-Leute noch ein anderer Plan. Mit einem Relais im
Auto war Schmidt zu Versuchszwecken auch mal auf den Königstuhl gefahren.
Dort, auf der 500 Meter hohen Erhebung bei Heidelberg, „kamen die
Farbbilder in allerbester Qualität an“.
Technisch wäre es ohne weiteres möglich gewesen, sie sogar bis
nach Wiesbaden zum Bundeskriminalamt weiterzufunken – dem Chef für
die Fahndungsprogramme, Kriminaldirektor Zabel, direkt in den Monitor
auf seinem Schreibtisch. Schmidt: „Der hätte dann per Knopfdruck
sehen können, was an sämtlichen Objekten der Aktion Paddy gerade
vor sich ging.“ Doch in diesem Fall widerstanden die Fahnder der
Verlockung des Machbaren.
Auf den Monitoren in der Observationszentrale waren zwölf verschiedene
Bilder zu sehen. Sie entsprachen den Standorten der einzelnen Kameras.
Speziell aus dem „Objektbereich1“, vom Wohnsitz des US-Generals
Kroesen, kamen die Bilde in so hervorragender Qualität an, dass sich
ein automatischer Bewegungsmelder aufschalten ließ. Das Gerät
machte es möglich, dass von Kamera 1 beispielsweise nur die in die
Wolfsbrunnensteige einfahrenden Autos aufgenommen und sämtliche Fahrzeugtypen
wie Kennzeichennummern abgespeichert werden konnten – ohne Archivierung
auch aller Fehlzeiten, in denen die Kamera keine Bewegungen registriert.
Extra aus Amerika beschafft wurde ein Spezial-Bildplattenspeicher (Kosten:
9.000 Mark), das einzige auf dem Weltmarkt erhältliche Gerät,
das die Videobilder von bis zu 15 Kameras mit einem einzigen Langzeitrecorder
in der Weise speichert, dass sie später stets wieder in der richtigen
zeitlichen Abfolge und getrennt nach jeder einzelnen Kamera abgerufen
werden können.
Eine Observationsgruppe des Bundeskriminalamtes und eine in Heidelberg
stationierte Sonderkommission mit mehreren Spezialfahrzeugen gingen rund
um die Uhr allen verdächtigen Spuren nach, die die Kameras in den
drei Objektbereichen einfingen.
Sie überprüften sämtliche Kennzeichen von Personenwagen,
die an den geschützten Villen vorüberfuhren und nicht zu den
Anliegern in der Nachbarschaft gehörten, sie verfolgten Fußgänger
bis zur Heimkehr in ihre Wohnung und legten Photoalben mit den Porträts
beispielsweise solcher Personen an, die mehrfach vorüberkamen.
Als schließlich alle installierten Kameras liefen, die komplizierte
Bildübertragung von allen Objektbereichen zur Zentrale fehlerlos
funktionierte, die optischen Daten auf Speicher liefen und ausgewertet
wurden, flog im August eigens ein Vier-Sterne-General aus dem Pentagon
von Washington ein, um das Meisterwerk zu besichtigen.
Der Befehlshaber war begeistert, verteilte Lob nach allen Seiten und war
sich mit Günter Ermisch, dem damaligen Vizepräsidenten des Bundeskriminalamtes,
und den Spitzenbeamten der Geheimdienste darin einig, dass hier das Modell
für ein Überwachungssystem verwirklicht worden war, mit dem
in Zukunft die unbegrenzte und perfekte Kontrolle nahezu aller menschlichen
Lebensabläufe möglich sein würde.
Projekt-Ingenieur Schmidt: „Das System lässt sich beliebig
ausbauen. Selbst bei dem Modell Heidelberg/Mannheim hätten es statt
dieser drei ebenso gut auch schon zehn oder mehr Objektbereiche sein können.
Das wird zwar alles noch viel aufwendiger, aber technisch machbar ist
es schon heute.“
Videofahndung mit flächendeckender Observation – ein legales
Instrument der Polizei, weil es gegen gefährliche Verbrecher eingesetzt
wird, die sich im elektronischen Bildernetz verfangen sollen?
Oder vollzieht sich hinter der Fassade des populären neuen Mediums
insgeheim bereits der Aufbau eines gigantischen Spitzelsystems –
im Widerspruch zu Grundgesetz und Datenschutz?
Der Übergang vom klassischen Observanten alter Schule mit Sonnenbrille
und hochgeklapptem Mantelkragen zur Massenüberwachung und ihrer technisch
möglichen Vervollkommnung durch das Kabel-Kommunikationsnetz bedeutet
zwangsläufig eine Herausforderung überkommener Rechtsprinzipien,
die das politische Bewusstsein in diesem Staat ebenso in Frage stellt
wie letztlich auch sein Menschenbild.
Denn auf der Basis der geltenden Gesetze hat die Polizei in der Bundesrepublik
bis heute lediglich zwei Aufgabenbereiche: Strafverfolgung und Gefahrenabwehr.
Ihre Befugnisse sind zudem an besondere Voraussetzungen gebunden, die
den Rahmen der legalen polizeilichen Tätigkeit abstecken:
Maßnahmen der Strafverfolgung (Repression) sind nur insoweit zulässig,
als ein konkretisierbarer und auf Fakten gestützter Tatverdacht vorliegt;
Maßnahmen der Gefahrenabwehr (Prävention) gegen „Störer“
dürfen Polizeibeamte nur dann ergreifen, wenn eine konkrete Gefahrensituation
gegeben ist. Will die Polizei sogar gegen „Nichtstörer“
tätig werden, so müssen zusätzlich die Voraussetzungen
des sogenannten „polizeilichen Notstandes“ erfüllt sein,
mithin eine „gegenwärtige und erhebliche Gefahr drohen“.Nur
scheinbar hat das Bundeskriminalamt 1974 mit der Vorschrift des Paragraphen
5 BKA-Gesetz eine weiterreichende Kompetenz auch zur „vorbeugenden
Verbrechensbekämpfung“ – losgelöst von der im Einzelfall
erforderlichen Gefahr – zugewiesen bekommen.
Tatsächlich haben solche Aufgaben normen jedoch keinen höheren
Rand als die bestehenden Befugniszuweisungen. Im Gegenteil: Aus gutem
Grunde begrenzt der Rahmen ihrer Befugnisse auch die Aufgaben der Polizei.
„Vorbeugende Verbrechensbekämpfung auch im Sinne des BKA-Gesetzes“
ist denn auch nach Ansicht des Bundes-Datenschutzbeauftragten, Professor
Hans Peter Bull, „der Polizei nur insofern gestattet, wie das geltende
Polizeirecht es gestattet ... Der Erfindungsgabe aller Polizeibehörden
sind also rechtliche Grenzen gesetzt“.
Auf den ersten Blick bestehen kaum Zweifel, dass die Observationsmaßnahmen
des Bundeskriminalamtes zum Schutz der Nato-Generäle gerechtfertigt
waren. Die Hinweise auf bevorstehende Anschläge von Terroristen waren
so konkret, dass die Fahnder von einer unmittelbaren Gefahrenlage für
das Leben der Offiziere ausgehen durften. Die Verdachtsmomente richteten
sich andererseits so massiv gegen den Täterkreis der RAF, dass auch
unter dem Gesichtspunkt der Strafverfolgung Polizeimaßnahmen gerechtfertigt
waren.
Der spätere Verlauf der Ereignisse bestätigte den Ermittlern
auch noch hinterher, dass sie auf der richtigen Spur gewesen waren. Als
General Kroesen am 15. September 1981 im gepanzerten Dienstwagen von seiner
Villa auf den Weg zum Headquarter am Karlstor vor der Ampel anhielt, wurde
das Fahrzeug von einer Panzerfaust des Typs „RPG 7“ getroffen.
Das Geschoß, abgefeuert aus einem Waldstück oberhalb der Uferstraße,
prallte vom Holm des Rückfensters ab. Kroesen und seine Begleiter
kamen mit dem Schrecken davon.
Der Terroranschlag fand 800 Meter außerhalb der Observationszone
statt. Chef-Fahnder Zabel vom BKA gab die Sache trotzdem als Erfolg seines
Überwachungssystems aus: „Wir haben die Täter mit unseren
Maßnahmen an diesen Steilhang und damit an einen für sie extrem
ungünstigen Tatort abgedrängt. Deshalb haben sie auch nicht
besser getroffen.“
Weniger Aufwand wäre womöglich wirksamer gewesen: Bei einem
Kontrollflug mit dem Hubschrauber über das Waldgebiet rings um die
Koresen-Villa hätte schon ein Schwenk mit der Infrarot-Kamera den
Fahndern in der Nacht vor dem Attentat alle Täter in ihrem Zelt wie
auf dem Präsentierteller dargeboten.
Bei näherem Hinsehen allerdings scheint die „Aktion Paddy“
rechtlich durchaus nicht so zweifelsfrei abgesichert. Denn betroffen von
den umfangreichen Observationsmaßnahmen waren auch Hunderte gänzlich
unschuldiger Bürger, gegen die noch nicht einmal ein Verdacht vorlag.
Dass und bis in welche Details ihres Privatlebens sie dabei kontrolliert
und überwacht worden sind, wissen sie alle bis heute nicht.
Allein im Umkreis der Kroesen-Villa wurden mehr als 200 Personen von der
Polizei durchleuchtet, im Patrick-Henry-Village war die Zahl der Betroffenen
noch weit höher. Autokennzeichen wurden überprüft, gespeichert
und mit den Datenbeständen im Polizeicomputer „abgeglichen“,
die Halter ermittelt, Spaziergänger verfolgt, Nachbarn und ihre Besucher
„abgeklärt“, Berufe ermittelt und in jedem Zweifelsfall
den Gründen nachgegangen, warum sich jemand der Observationszone
aufhielt.
Tat er es gar mehrfach, verstärkten sich automatisch die Verdachtsmomente.
In Mannheim, am Haus des britischen Generalmajors Reynolds, brachte sich
ein für die Observanten unbekannter Mann arglos in persönliche
Gefahr als er erst das Gebäude musterte und dann auch noch auf die
Haustür zuschritt. Doch es war kein Terrorist, sondern nur der Schornsteinfeger.
Ein Problem für die Observanten waren Freunde und Besucher von Anwohnern
in der Überwachungszone. Sie alle gerieten ins Blickfeld der Fahndung
und wurden Objekt staatlicher Schnüffler. Wie viele Photos, Namen
und andere Personalangaben harmloser Bürger auf diese Weise in die
Datenbank des Bundeskriminalamtes eingingen, ist nicht bekannt.
Wie jedes staatliche Handeln unterliegen aber auch die Fahndungsmaßnahmen
der Polizeibehörden dem verfassungsrechtlichen Gebot der Verhältnismäßigkeit:
Zweck und Mittel jeder exekutiven Tätigkeit müssen sich an der
Rechtsordnung ausrichten. Staatliche Eingriffe in geschützte Rechtsverhältnisse
sind nur insoweit legitim, als dadurch nicht höherrangige Rechtsgüter
verletzt als geschützt werden.
Eingriffe in die Privatsphäre einer unüberschaubaren Zahl unbescholtener
Bürger und die hundert- oder gar tausendfache Verletzung von Persönlichkeitsrechten
verbreitern die Kluft zwischen Grundgesetz und Verfassungswirklichkeit.
Sie belasten das politische Klima und die Rechtsordnung am Ende schwerer,
als wenn tatsächlich mal ein gefährlicher Verbrecher der Polizei
für einige zeit durch die Lappen geht.
Der vielfache Verstoß gegen Persönlichkeitsrechte und damit
gegen das Grundgesetz gehört unter dem Stickwort „Rasterfahndung“
seit Jahren zum bundesdeutschen Polizei-Alltag. Zu Millionen von Daten
hat sich das BKA inzwischen den Zugriff verschafft und Informationen über
unverdächtige Bürger gesammelt, um daraus Schuldige erst herauszufiltern.
Um Tatverdächtige oder Störer aufzufinden, um Spuren zu entdecken
oder Hinweise auf geplante Verbrechen zu erhalten, tragen die Fahnder
bei jeder Rasterfahndung zunächst einmal ganze Datenfluten bestimmter
Bevölkerungsgruppen zusammen.
Einbezogen werden anfangs alle Personen, die bestimmte Auswahlkriterien
erfüllen – beispielsweise alle Angehörigen von Wohngemeinschaften,
alle Stromkunden, die ihre Rechnung bar zahlen, alle Brillenträger
mit bestimmten Dioptrien oder alle Wohnungsinhaber, die ihre Miete nicht
vom Konto überweisen.
Aus der Fülle des Datenmaterials ergeben sich zumindest schon Teil-Abbilder
jeder Person. Bei der näheren Überprüfung nach speziell
vorgegebenen Gesichtspunkten werden nach und nach immer mehr Unverdächtige
ausgesiebt, bis am Ende ein Rest an Verdächtigen übrig bleibt
– oder auch nicht.
Kein Betroffener kann sich rechtlich dagegen zur Wehr setzen, schon weil
er gar nichts davon erfährt. Gleichwohl kann eine solche Maßnahme
für den einzelnen, der vielleicht einen Job in der Verwaltung sucht,
sogar existenzgefährdend werden, wenn sie an andere Behörden
weitergeleitet wird.
Schon die Rasterfahndung alter Schule halten zahlreiche Juristen für
verfassungswidrig. Tatsächlich existiert überhaupt keine Vorschrift,
die sich zur Rechtfertigung heranziehen ließe. Mehr noch: Gerade
aus diesem Regelungsdefizit leiten Polizeipraktiker ihre Freiräume
ab und wehren sich gegen jede Abhilfe aus Bonn. „Die Forderung nach
gesetzlicher Regelung“, schreibt Münsters Kriminaldirektor
Wolfgang Steinke ganz ungeniert im Fachblatt „Kriminalistik“,
„so legitim sie auch sein mag, birgt für die Polizei größte
Gefahren in sich.“
„Möglichkeiten von Angriffen auf die Menschwürde“
sind sogar nach den Worten des ehemaligen BKA-Chefs Herold, dem die Republik
die Computerfahndung samt allen ihren Auswüchsen letztlich verdankt,
„bereits in den Strukturen der Elektronik angelegt ... Die Grenzenlosigkeit
der Informationsverarbeitung würde es gestatten, das Individuum auf
seinem gesamten Lebensweg zu begleiten, von ihm laufend Momentaufnahmen,
Ganzbilder und Profile seiner Persönlichkeit zu liefern, es in allen
Lebensereichen, Lebensformen, Lebensäußerungen zu registrieren,
zu beobachten, zu überwachen und die so gewonnenen Daten ohne die
Gnade es Vergessens ständig präsent zu halten“.
Überraschend daran ist nur die Konjunktiv. Was Herold hier noch als
Schreckenspanorama ausmalt, ist in Teilbereichen schon heute Realität
und lässt sich beim Verkabeln der Republik künftig mühelos
perfektionieren.
Schon die heute übliche Rasterfahndung hat den polizeilichen Zugriffsbereich
vorverlagert auf Unverdächtige und auf eine nur abstrakt angenommene
Gefahrenlage. Sichtbar wird dabei die Tendenz der Sicherheitsbehörden,
Gefahrenabwehr neu und umfassender als bisher zu definieren. Etabliert
wird ein Begriff der Sicherheit, der sich nicht mehr nur auf die Gewährleistung
der Legalordnung beschränkt, sondern die soziale Ordnung mit einbezieht.
„Multifaktorial“ sei der Sicherheitsbegriff geworden, sagt
der Stuttgarter Landespolizeipräsident Stümper und enthüllt
jenen erweiterten Legitimitätsanspruch der Polizei im Jahr vor Orwell,
„Sicherheit ist ein in den unterschiedlichsten Wechselbeziehungen
zu sehender Begriff. So wirken ineinander: Innere Sicherheit, äußere
Sicherheit, psychologische Sicherheit, soziale Sicherheit, wirtschaftliche
und spezielle energiepolitische Sicherheit, gesamtpolitische Sicherheit“.
Das präventionistische Interesse der Polizei wandelt sich damit,
wie der Karlsruher Rechtswissenschaftlicher Eckart Riehle feststellt,
„zu einem Interesse an sozialer Kontrolle“, und die Legalität
des Alltag bleibe nicht länger abgeschottet gegenüber staatlichem
Zugriff.
Riehle: „Sicherheitsprobleme definieren sich nicht mehr in bezug
auf die Legalordnung, vielmehr am Leitfaden von Störungen der sozialen
Praxis ... Das liefe auf die Etablierung einer im Vorfeld des Verdachts
tätigen Polizei hinaus, also einer Polizei im Vorfeld des Rechts,
deren Kontrolltätigkeit auf die Überwachung der Legalität
und der Normtreue des Bürgers bezogen wäre.“
Auf diesem Wege ist die Praxis schon fortgeschritten. Dem elektronischen
Fangnetz aus Herold Tagen hat sich mit dem Probelauf „Paddy“
jetzt ein zweites, völlig neuartiges Überwachungssystem hinzugesellt
– diesmal mit Bildern auf Videobasis.
Die nächsten Einsätze des neuen Systems sind bereits gelaufen
und markieren die Zielrichtung seiner Initiatoren: Betrieben wird nicht
mehr Strafverfolgung oder Gefahrenabwehr, sondern die Spurensicherung
von abweichendem gesellschaftlichem Verhalten. Verdächtig ist, wer
von der Norm abweicht.
Angst, Anpassung und schließlich die Standardisierung der persönlichen
Lebensgestaltung können die Folge sein. Mit der Weiterentwicklung
der Rasterfahndung, so sieht es Rechtswissenschaftler Jürgen Simon
aus Hannover, „rückt das Orwellsche Schreckbild des gesellschaftssanitär
auf Anpassung und Konformität hin disziplinierten Menschen näher“.
Bei der Großdemonstration der Kernkraftgegner in Brokdorf im Februar
1981 waren die Polizeihubschrauber mit Videokameras und Sendern bestückt.
Nicht nur die einzelnen Demonstrationszüge oder die Zusammenballungen
von Aktionsgruppen an bestimmten Brennpunkten ließen sich damit
abfilmen, sondern mit Hilfe besonders starker Zoom-Objekte gelangen auch
Porträtphotos von bester Qualität.
BKA-Techniker in Wiesbaden konstruierten inzwischen auch die mobile Video-Überwachungsstation:
Kamera und Sender in einen Pkw eingebaut. Die Optik besteht aus einem
Endoskop, einer dünnen Stange mit Nadelöhrobjektiv an der Spitze.
Für das Kamera-Auge genügt schon eine Öffnung von zwei
Millimetern. Sie ließ sich ebenso konspirativ im Kühlergrill
wie hinter manipulierten Rostlöchern irgendwo an der Karosserie unterbringen.
Die Kamera liegt im Kofferraum oder im Verbandskasten versteckt auf der
Ablage hinter dem Rücksitz. Der Sender (Kosten: 30.000 Mark) und
die 24-Volt-Batterie lassen sich problemlos unterbringen, er ist nicht
größer als das DIN-A4-Format und nur zehn Zentimeter hoch.
Als Richtstrahler dient eine zehn Zentimeter lange Metallstange; sie liegt,
getarnt in einer Plastiktüte, hinter dem Rückfenster.
Die „bewegliche konspirative Station“ (BKA-Jargon) sendet
nur ein paar hundert Meter weit. Aber das genügt in aller Regel,
denn irgendwo in diesem Umkreis lässt sich erfahrungsgemäß
auch eine konspirative Empfangsstation mit der nötigen Gerätschaft
zum Speichern und Auswerten der Videobilder einrichten.
Der Prototyp des Observationswagens für die Videofahnder wurde polizeiintern
ein Renner. Als erster fragte der mit Hausbesetzungen und Demonstrationen
besonders heimgesuchte Berliner Polizeipräsident per Fernschreiben
an, welche Erfahrungsberichte mit „Fahrzeugen für eine Beweissicherung
durch Film und Photographie“ vorliegen, denn nach „den letzten
gewalttätigen Auseinandersetzungen in Berlin wurde festgestellt,
dass die polizeiliche Beweissicherung unbedingt ausgebaut werden muss“.
Das wurde sie inzwischen allenthalben, denn das BKA propagiert seine mobilen
Videokommandos in Lageberichten an die Landeskriminalämter und Vorträgen
auf der Polizeischule in Hiltrup.
In der hessischen Universitätsstadt Gießen wurden 1981 mehrere
Brandanschläge auf Gebäude der US-Armee verübt. Kurz darauf
tauchten Bekennerbriefe der „Revolutionären Zellen“ („RZ“)
auf. Nähere Hinweise gab es nicht; das BKA hatte keinerlei Spuren
sichern können, aus denen sich ein konkreter Verdacht gegen Einzeltäter
oder Gruppen hätte herleiten lassen.
Letzter Ausweg: eine Videofahndung – ins Blaue hinein und gegen
gänzlich Unverdächtige. Observiert wurden kurzerhand mal die
Angehörigen von Wohngemeinschaften im Raum Gießen. Gegen die
Leute lag nichts vor; sie waren ordnungsgemäß gemeldet und
lebten in völliger Legalität.
Illegal war das Fahndungsprogramm: Der ganze Alltag der betroffenen Personen
sollte transparent gemacht, die genaue Identität aller Freunde und
Bekannten aufgelistet, das Beziehungsgeflecht jedes einzelnen WG-Mitgliedes
ausgekundschaftet und polizeilich durchdrungen werden – könnte
ja sein, dass auch mal ein wirklich Verdächtiger zum Tee hereinschaut.
15 Häuser waren in die Überwachungsaktion einbezogen. Eines
davon lag so abgelegen im Nachbardorf Rödgen, dass es den BKA-Fahndern
ausnahmsweise nicht gelang, dort eine Wohnung für die Observationsmannschaft
und ihre Technik anzumieten.
Der Plan, einen mit Kamera und Sender bestückten Sammel-Container
für leere Flaschen vor die Tür zu stellen, wurde als zu auffällig
verworfen. Am Ende parkte bis März 1982 ein Video-Auto mit gefälschtem
Giessener Nummernschild auf der Dorfstraße; die Empfangsstation
zur Bild-Speicherung wurde zwei Kilometer entfernt einquartiert.
Gröber gezielt und deshalb noch fragwürdiger ist das BKA-Programm
„Bahnfahndung“. Kriminaldirektor Zabel hatte schon im Frühjahr
1980 damit begonnen und 500 Bahnpolizisten aus allen Großstädten
der Bundesrepublik in Sonderschulungskurzen ausgebildet.
Feste Stützpunkte mit Lagezentren hat das Bundeskriminalamt heute
in Hamburg, Frankfurt und München installiert, ein viertes irgendwo
im Großraum Rhein/Ruhr. Telefon, Fernschreiber und Telekopiergeräte
stehen in verschlossenen Hinterzimmern, und die zentrale Zusammenschaltung
aller offenen operierenden Videokameras auf Bahnsteigen, vor Schließfächern
und den dunklen Ecken bei den Toiletten ist längst kein technisches
Problem mehr.
Dem BKA war das zuwenig. Die anzuliefernde Menge der Bilddaten musste
schon deshalb lückenhaft ausfallen, weil sich jeder den Augen der
überall sichtbar aufgehängten Kameras gezielt entziehen kann.
Der nächste Schritt war damit programmiert: Geheimkameras auch auf
den Bahnhöfen.
Mehrere Nächte hindurch, während alle Zugänge zur unterirdischen
„B-Ebene“ am Frankfurter Hauptbahnhof mit ihren Geschäften,
Passagen und Kiosken von Eisengittern versperrt waren, baute Entwicklungsingenieur
Schmidt auch dort eine geheime Video-Überwachungsanlage für
das Bundeskriminalamt ein. Baubehörde und Bundesbahndirektion wussten
als einzige Bescheid.
Ein runder Container von etwa einem Meter Durchmesser wurde oben am Kreuzgitterrahmen
befestigt und in der Betondecke festgedübelt. Schmidt probierte mehrere
Kameras aus. Am besten funktionierte es mit einer Drei-Röhren-Farbkamera,
die 50.000 Mark gekostet hatte. Sie war nach allen Seiten schwenkbar,
das Objektiv hinter einem nicht einsehbaren Drahtgeflecht versteckt.
Dreißig Meter entfernt vom Buch- und Zeitungsladen Montanus, die
Rolltreppe zur Kaiserstraße und zur Bahnsteighalle im Blickwinkel,
Schwenk-Neige-Automatik eingeschlossen und mit Zehnfach-Zoom-Objektiv
bestückt, konnte die geheime Apparatur einfangen, was immer unter
dem Frankfurter Hauptbahnhof vor sich ging – je nach Fahnderwunsch
in der Totalen oder auch mal Köpfe im Porträtformat, die sich
im BKA-Computer PIZ (Personenidentifizierungszentrale) mit den Datenbeständen
abgleichen ließen.
Über Stunden hinweg kam eine Kioskverkäuferin ins Bild, Handelsgeschäfte
verdeckter Art wurden gefilmt, Kontaktgespräche mit Prostituierten,
anonyme Begegnungen wurden polizeibekannt.
Die Aktion sollte neue Erkenntnisse für Rasterfahndungsprogramme
liefern: Gefragt war die Mimikry von Käufern mehrerer überregionaler
Zeitungen – ein Personenkreis, zu dem auch Terroristen gehören
-, Bewegungsabläufe vor Gepäckschließfächern, Kleiderwechsel
auf Toiletten, Zeichensignale zwischen herumschlendernden jungen Leuten.
Abgetastet wurden die Lebensäußerungen Tausender gänzlich
Unverdächtiger auf der Suche nach Verhaltensformen, die Verdachtsmuster
signalisieren können.
Die Bahnpolizei hatte dem BKA einen Raum überlassen, wo die über
Kabel einlaufenden Videobilder mit Steuerpult, Monitoren und Recordern
aufgefangen und ausgewertet wurden. Beamte aus der Chefetage in Wiesbaden
kamen zur Besichtigung und waren begeistert. Kriminaldirektor Zabel wollte
wissen, ob die Anlage innerhalb von Tagen beispielsweise auch in München
aufzubauen wäre. Ingenieur Schmidt: „Natürlich geht das.
Kein Problem.“
Überwachung total: Mit der staatlichen Registrierung, Speicherung
und Auswertung aller Formen persönlicher Lebensäußerung,
bei denen auch noch die privatesten, flüchtigsten und scheinbar anonymen
Beziehungen des einzelnen zu anderen Personen, Dingen, Orten oder auch
Texten festgehalten werden und Bedeutung erlangen können, wird tief
in die Autonomie der menschlichen Selbstdarstellung eingegriffen und das
Persönlichkeitsrecht im Kern verletzt.
Denn das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, eine
Ausgestaltung des Verfassungsprinzips von der Menschenwürde, umfasst
nicht nur die aktive Komponente der allgemeinen Handlungsfreiheit, sondern
hat auch einen statisch-passiven Aspekt, das Recht auf Respektierung des
geschützten Privatbereichs.
Das Bundesverfassungsgericht zog 1980 eine klare Trennungslinie, jenseits
derer die Privatsphäre des einzelnen nicht zum Objekt staatlicher
Ausforschung herhalten darf:
Der einzelne soll – ohne Beschränkung auf seine Privatsphäre
– grundsätzlich selbst entscheiden können, wie er sich
Dritten oder der Öffentlichkeit gegenüber darstellen will, ob
und inwieweit von Dritten über seine Persönlichkeit verfügt
werden kann; dazu gehört im besonderen auch die Entscheidung, ob
und wie er mit einer eigenen Äußerung hervortreten will, insofern
gilt das gleiche wie für das Recht am gesprochenen Wort, das die
Befugnis des Menschen schützt, selbst zu bestimmen, ob seine Worte
einzig dem Gesprächspartner, einem bestimmten Kreis oder der Öffentlichkeit
zugänglich sein sollten.
Problematisch aber wird es mit diesem „Grundrecht auf informationelle
Selbstbestimmung“, so der Frankfurter Rechtsprofessor Erhard Denninger,
„wenn der Betroffene von der Weitergabe persönlichkeitsrelevanter
Daten oder Äußerungen nichts erfährt, mit ihr nicht rechnet
oder sich über sie gar keine Gedanken macht“, aber alle seine
Kommunikationsbeziehungen etwa im Rahmen einer Videofahndung ins Kraftfeld
öffentlicher Interessen geraten.
Schon längst lassen sich auch alle Verkehrsüberwachungskameras
an Straßen, Plätzen, Bahnhöfen, Kaufhäusern und öffentlichen
Gebäude zentral zusammenschalten, Panoramen vielfältiger Lebensabläufe
anliefern und die Flut der Bilderdaten auswerten.
Die Speicherkapazität der modernen elektronischen Datenverarbeitungsgeräte
ist nahezu unbegrenzt, und das Material, auf dem diesen Informationsmassen
gespeichert werden, wird mit den sich explosionsartig verbreitenden Anwendungsmöglichkeiten
immer billiger.
„Wenn man beispielsweise in Gießen nur noch zehn weitere Videokameras
anbringt, und ich wüsste natürlich auch genau wo“, sagt
Projektingenieur Schmidt, der auf einem Dort in der Nähe der hessischen
Universitätsstadt lebt und heute Pädagogik studiert, „dann
hat man in so einem kleinen Ort – zumal abends und in der Nacht
– ganz genau im Blick, wer wohin geht, sich mit wem trifft, sich
wie lange irgendwo aufhält, was er beobachtet, jemandem übergibt,
in welches Kino geht, welcher Frau nachstellt, an welchen Veranstaltungen
teilnimmt. Damit weiß man schon eine ganze Menge und kann Schlüsse
daraus ziehen.“
Allein in Hannover überwachen heute schon 25 Videokameras alle wichtigen
Straßen und Plätze. Die Bilderflut läuft zur Observation
auf die Monitore einer Leitzentrale, von der aus Polizeieinsätze
dirigiert werden – wie erst im letzten Monat gegen die Punker.
Die enorme Menge an zusätzlichem Wissen und damit an Macht über
jeden einzelnen, die dem Staat auf diese Weise zuwächst, ist weder
Zufallsprodukt noch ungewollte Nebenfrucht der zweiten industriellen Revolution.
Den riesigen Seismographen, der sämtliche gesellschaftliche Vorgänge,
Strukturierungen und Umstrukturierungen rechtzeitig oder gar vorzeitig
erfasst, hat niemand so konkret vorausgedacht und herbeigewünscht
wie der einstige BKA-Chef Herold.
Im Sommer 1980 hatte er dem Frankfurter Juristen und Publizisten Sebastian
Cobler für das „Kursbuch“ ein Interview so enthüllenden
Inhalts gegeben, dass er die Druckerlaubnis zurückzog und von einigen
Passagen als „aus dem Zusammenhang gerissen“ abrückte,
nachdem es die Zeitschrift „Transatlantik“ später doch
veröffentlicht hatte.
Auszüge:
Ich sehe die Hauptaufgabe des Bundeskriminalamtes darin, das in riesigen
Mengen angehäufte Tatsachenmaterial zu allen abseitigen, abweichenden
Verhaltensweisen in der Gesellschaft forschend zu durchdringen, um rationale
Einsichten der Gesellschaft zur Verfügung zu stellen, ihr eigenes
Rechtssystem zu korrigieren und Instrumente bereitzustellen, die Kriminalität
verhindern.
Wir müssten zunächst einmal die gewaltige Datenmenge, die die
Polizei ja hat, durchdringen und mehrdimensional verknüpfen können.
Die heutige Technik würde das bewältigen. Wenn die Datenneurose
nicht wäre, wäre das eine einfache Sache ... Was ich anstrebe,
ist die Polizei als gesellschaftliches Diagnoseinstrument.
Marx hat es ja mal so schön gesagt, die Polizei wäre der verändernde
Faktor der Gesellschaft ... Meine Hoffnung gilt dem Computer als einem
gesamtgesellschaftlichen Diagnoseinstrument ... Man muss einen lebenswerten
Staat schaffen. Einen Staat der Bürger – einen transparenten
Staat. Und den können Sie nur technisch transparent machen. Ja, das
ist natürlich ein Sonnenstaat, aber der ist machbar heute. Hier in
der Polizei ist das machbar.
Gemeint ist die Transparenz aus dem Blickwinkel des obersten Polizisten
– mithin ein Staat, der durch alle seine Bürger hindurchsieht.
Dieser Vision haben Herold und seine Epigonen die passende Realität
inzwischen nach Kräften hinterher geliefert.
Drei geheime Videokameras wurden in der Nacht zum 6. Dezember 1981 im
Frankfurter Hauptpostamt an der Zeil eingebaut. Gerichtet waren die konspirativ
getarnten Objektive auf drei Briefkästen. Immer dann – und
das kam damals öfter vor – wenn nachts in der Stadt ein Sprengsatz
hochging, wurden die Kameras eingeschaltet und tagelang alle jene Passanten
gefilmt und ihre Porträts gespeichert, die Post in einen der Briefkästen
einwarfen.
Mit Hilfe dieser Observation, die bis zum Februar 1982 lief, wollte das
BKA die Absender von Bekennerbriefen fangen. Vorgesehen war deshalb auch,
alle eingeworfenen Briefe polizeilich sofort zu überprüfen,
ob sie etwa an die „Frankfurter Rundschau“ gerichtet waren,
die gelegentlich schon mal Adressat solcher Bekennerbriefe gewesen war.
Wer immer in solchen Tagen dort arglos seinen Leserbrief einwarf, auf
eine Annonce antwortete oder der Redaktion eine Mitteilung zusandte, geriet
automatisch in schwersten Verdacht und galt als potentieller Bombenleger.
Ob und wann seine Persönlichkeitsdaten vom BKA vom BKA-Computer wieder
gelöscht wurden, ist nicht bekannt – nur, dass der Vorgang
auch einen Angriff auf die Pressefreiheit darstellt, zu der unbestritten
der Anonymitätsschutz für die Informanten zählt.
In welchem Ausmaß Persönlichkeitsrechte durch eine immer stärker
ausufernde Videofahndung inzwischen verletzt werden, zeigt beispielsweise
die Observation jener 120.000 friedlichen Demonstranten, die am 14. November
1981 in Wiesbaden die Übergabe der 220.000 Unterschriften für
das Volksbegehren gegen den Bau der Startbahn West begleiteten.
Alle Kameras der Stadtwerke Wiesbaden, die an verschiedenen Stellen zur
Verkehrslenkung installiert sind und laut Fernmeldegenehmigung der Bundespost
auch nur zu diesem Zweck betrieben werden dürfen, wurden zur Kripo
durchgeschaltet, ohne dass die Post darüber auch nur informiert wurde.
Doch der Polizei genügte das nicht. Auf Anforderung des Wiesbadener
Polizeipräsidenten steuerte das BKA noch eine Spezialanlage mit zwei
Videokameras und Laserstrahl-Sender bei, um die Abschlusskundgebung auf
dem Elsässer-Platz in allen Einzelheiten zu erfassen.
Kameras und Sender wurden im Hochhaus des Arbeitsamtes eingebaut, hinter
der Fensterscheibe im Konferenzsaal. Der Direktor und sein Justitiar stimmten
nach Absprache mit dem Landesarbeitsamt der fragwürdigen Amtshilfe
zu. Bedenken gab es ausnahmsweise beim BKA, denn die übliche Blanko-Vollmacht
fehlte: Die Überwachungsaktion war schließlich nicht auf Terroristen
gezielt. BKA-Präsident Boge erteilte die Weisung selber.
Die eingesetzten Zahnfach-Zoom-Objektive machen es möglich, Porträt-Aufnahmen
jedes beliebigen Demonstranten zu schießen und per Laserstrahl zur
Empfangsstation mit Datenspeicher ins Polizeipräsidium zu senden.
Bei Bedarf lässt sich festhalten, wer wo mit welchem Spruchband neben
wem im Demonstrationszug mitgelaufen ist – perfekte Kontrolle von
Personen, die nur vom Grundrecht der Versammlungsfreiheit Gebrauch machen.
Da passt ins Bild, dass sich die neue Bonner Koalition mit Eifer für
das Vermummungsverbot engagiert. Denn wer will schon Millionen für
den Ausbau der Videofahndung ausgeben, wenn er dann nur Wollschals, Helme
und PLO-Tücher auf den Bildspeicher kriegt.
Geheimkameras hinter den Fensterscheiben von Hochhäusern sind für
niemanden auszumachen. So lassen sich Wohngemeinschaften, Universitätsgebäude,
Flughäfen, Kernkraftwerke, Jugendtreffs, Versammlungslokale, Parteibüros,
Kneipen oder Ecken für Stricher problemlos observieren und alle Daten
aus Langzeitbeobachtungen zu einem Bild zusammenfügen, das für
jedweden Amtsgebrauch ein Profil der betroffenen Persönlichkeit hergibt
– nichts Privates bleibt privat, wenn es der große Bruder
nicht will.
Im Wiesbadener Bundeskriminalamt läuft ein Forschungsprogramm, das
jene Technik weiterentwickeln soll, mit der sich alle Bilder digital zerlegen,
also in Zahlen auflösen und dann jederzeit abrufbar speichern und
abgleichen lassen.
Neue Denkanstöße für immer perfektere Observationstechniken
erhalten die Wiesbadener Fahnder gelegentlich auch aus England, dessen
Polizei- und Abwehrexperten an Raffinement und Erfindungsreichtum in manchen
Bereichen auch den Amerikanern überlegen sind.
Britische Techniker haben eine Maschine entwickelt, mit der sich ein Loch
von einem halben Millimeter Durchmesser auch durch jede beliebig dicke
Betonwand treiben lässt. Die Bohrung dauert zwar sechs bis acht Stunden,
geht aber absolut geräuschlos vonstatten.
Durch den Hohlraum wird dann ein Nadelöhr-Objektiv geschoben, das
mit seiner Weitwinkel-Optik geheime Videoaufnahmen aus Wohnungen, Geschäftsräumen
und Hotelzimmern ermöglicht. Das winzige Loch lässt sich in
Deckenhöhe anbringen und ist damit so gut wie unsichtbar. Die Endoskop-Optik
mit eingebautem verstellbarem Spiegel verhindert, dass ein toter Winkel
dem Observantenblick entgeht.
Kriminalrat Bach vom BKA ließ sich das Gerät in England vorführen,
war beeindruckt und traf gleich die nötigen Abmachungen, damit die
Videowanze auch im deutschen Polizeiapparat heimisch wird.
Richtig abrunden lässt sich das Werk der totalen Überwachung
aller Bürger mit dem Ausbau des Kabel-Kommunikationssystems. Spätestens
dann können die letzten privaten Schlupflöcher im elektronischen
Fangnetz zugeschnürt werden. Wer will noch ausschließen, dass
dies auch gewollt ist und als eines unter anderen Antriebsmomenten hinter
allem staatlichen Planungseifer steckt.
Die zunächst mit Kupfer-Koaxialkabeln, später mit Glasfaserkabeln
ausgelegten Breitbandnetze werden den heutigen Fernsprechverkehr dann
um ein zweites, ungleich leistungsfähigeres Ortsnetz ergänze,
auf dem neben vielen Fernseh- und Hörfunkprogrammen auch noch zahlreiche
andere Formen der Text-, Daten- und Bildkommunikation verwirklicht werden
können.
Damit soll sich die elektronische Massenkommunikation vom reinen Verteilen
weniger laufender Programme durch etablierte Rundfunkanstalten zum Vermitteln
der unterschiedlichsten Informationsangebote wandeln, aus denen der einzelne
je nach Geschmack individuell auswählen kann.
Jeder Haushalt soll dann auf seiner eigenen Leitung über die Informationszentrale
alle Informationsangebote so anwählen können wie heute den individuellen
Fernsprechpartner. Einzelne Textinformationen ließen sich dann genauso
heranschaffen wie eine Zeitung, ein Buch, ein Film oder ein Musikstück
und kämen alle direkt auf den häuslichen Bildschirm.
Nicht nur das: Die zunächst inselartig geplanten Breitband-Ortsnetze
sollen später durch Querverbindungen zu einem flächendeckenden,
vielkanaligen Netz ausgebaut werden, über das jeder Teilnehmer über
sogenannte Rückkanäle nicht nur seinerseits mit der Zentrale,
sondern mit den Anbietern aller möglichen Dienste – beispielsweise
Fernseheinkauf, Gesundheitsberatung, Auskunfteien, Zahlungsverkehr, Fernunterricht
– individuell in Verbindung treten kann.
Dabei lassen sich technisch sämtliche Benutzerdaten mit der Elektronik
erfassen. Wo für die Inanspruchnahme einzelner Dienste gesondert
gezahlt werden muss, ist es geradezu erforderlich, ganz präzise festzuhalten,
wer wann wie lange welche Programme und Dienste in Anspruch nimmt.
Ein ideales Feld für jedwede Rasterfahndung, weil sich mühelos
individuelle Nutzerprofile daraus ableiten lassen. Zumal der Bund die
Fernmeldehoheit inne hat, dürfte der Polizei auch zum neuen Netz
der Zugang offen stehen – wie heute schon zum Telefonnetz, das bei
der „Aktion Paddy“ für die Überwacher auch nicht
tabu war. Im Gegenteil, künftig wird es noch glatter abgehen: Beim
Bigfon-Netz sind alle Verstärker schon eingebaut.
Die Zusammenarbeit der Observanten mit der Post könnte schon heute
kaum besser sein. In einem Aktenvermerk des Bundesinnenministeriums vom
19. Februar 1982 wird die Übereinkunft zwischen Polizei und Post
so skizziert: „Sofern ein größerer Bedarf erkennbar wird,
erklärte man sich bereit, durch betrieblich-organisatorische Maßnahmen
... eine schnelle Verfügbarkeit der Übertragungswege sicherzustellen.“
Wie oft jemand ein bestimmtes politisches Fernsehprogramm anwählt,
ob er Porno oder Elektronikkurse bestellt, wofür er sein Konto auf
der Bank belastet, in welchen Bibliotheken er was für Bücher
ausleiht, welche Urlaubsreise er mit wem zusammen bucht, ob er mit seinem
Arzt über Entzugsprobleme kommuniziert und welche Infos er aus dem
Videotext-Angebot bezieht – das alles wüssten auch Fahnder
gern, die wie Herold die transparente Gesellschaft wollen, um daraus polizeiliche
Erkenntnisse abzuleiten.
„Die Einführung dieser Medien“, sieht Ruth Leuze, die
baden-württembergische Landesbeauftragte für den Datenschutz,
voraus, „wird zur Anlegung umfangreicher Sammlungen personenbezogener
Daten führen ... die auch für die öffentliche Verwaltung
und Politik ... vor allem für die Polizei und die Nachrichtendienste
von Bedeutung sein werden.“ Ruth Leuze: „Das Überwachungspotential
würde ausgedehnt. Zumindest in einem späteren Zeitpunkt würde
eine völlige Verhaltenskontrolle ermöglicht.“ Werner Schmidt,
promovierter Mathematiker beim Bundesdatenschützer Bull: „Rasterfahndung
und ihre Auswertung ist auf der Kabel-Kommunikationsebene weniger personalintensiv
und funktioniert praktisch allein mit technischen Mitteln. Man kann den
Gesamtstrom aller Informationen dann sozusagen über ein Sieb laufen
lassen – mit bequemen Zugriffsmöglichkeiten auch für die
Polizei.“
Bei dem geplanten Bigfon-Netz kann jede einzelne Glasfaser 30 Signale
gleichzeitig und parallel übertragen – selbstverständlich
auch Videobilder, was immer dann alle offen oder konspirativ surrenden
Kameras an Daten nur hergeben, sekundenschnell und quer durch die ganze
Republik.
Der Eingriff in die Persönlichkeitssphäre wird dann nach Ansicht
der Stuttgarter Datenschützerin Leuze „noch stärker, wenn
nicht nur seine Meinungsäußerung, sondern auch sein Bild gespeichert
wird. Die persönliche Situation des Teilnehmers in einem bestimmten
Zeitpunkt, seine Gefühle und Regungen, die nicht unbedingt in Worten
zum Ausdruck kommen, werden auf diese Weise jederzeit reproduzierbar gemacht“.
Letzte Rettung Datenschutz? Wohl kaum – der Zielkonflikt ist bereits
benannt. Bonns Bull hält es für ein „Gebot der Rechtsstaatlichkeit,
diese Bedrohung von Individualinteressen, zurückzudrängen“.
Doch die Front seiner Gegner, die ihn jetzt auch ablösen wollen,
ist stärker.
Generalbundesanwalt Rebmann setzt die Prioritäten auf seine Weise:
„Sicherheit geht vor Datenschutz – nicht umgekehrt.“
Und Zimmermanns Staatssekretär Carl-Dieter Spranger hatte sich als
Auditorium speziell die BKA-Mitarbeiter ausgewählt, um die neue Losung
zu verkünden: „Datenschutz hat nur eine dienende Funktion und
keinen absoluten Vorrang vor den Erfordernissen der öffentlichen
Sicherheit.“
Der Fortschritt in der Mikroelektronik ermöglicht bereits die digitale
Übertragung und Vermittlung. Sprache, Daten und Bilder werden dann
in Form digitalisierter, also in Zahlen übersetzter Impulse übertragen,
was den Direktanschluss mit allen rechnergesteuerten Informationssystemen
erlaubt.
Über Halbleiterkameras auf Digitalbasis verfügt die Polizei
dank eines britischen Forschungsprogramms schon heute. Eingebaut beispielsweise
an Autobahnbrücken und Grenzkontrollstellen sollen die Geräte
automatisch notieren, wann und in welche Richtung welche Fahrzeuge unterwegs
sind, deren Kennzeichen-Nummer dem Systemcomputer eingegeben waren.
Ist erst das fälschungssichere Kfz-Kennzeichen eingeführt, lassen
sich Mobilitätsprofile sämtlicher Autofahrer entwickeln, alle
zur Fahndung ausgeschriebenen Fahrzeuge automatisch orten und daraufhin
abfangen.
Selbst die automatisierte Personenfahndung ist nur mehr eine Frage der
Zeit, und dann wird das menschliche Gesicht im Jargon der Polizei zum
Personenkennzeichen.
Ihre üblichen Phantombilder erstellt die Kripo heute nach bis zu
30 Einzelmerkmalen. Augenabstand, Nasenlänge und Gesichtsschnitt
spielen dabei ebenso eine Rolle wie beispielsweise Stirnhöhe, Ohrenform
und Kinnpartie. Alle diese Daten lasen sich auch in Zahlen umsetzen und
in einen guten Computer füttern, der mit einer Digital-Halbleiterkamera
verbunden ist. Sie wandelt sämtliche Lichtimpulse, die sie von einem
Objekt empfängt, automatisch in Zahlen um.
Auf eine beliebige Menschenansammlung gerichtet, gleicht diese Kamera
die Impulse mit den gespeicherten Suchbild-Daten ab, sortiert die Zielperson
heraus und alarmiert sekundenschnell die lauernden Observanten.
Die Festnahme erfolgt noch von Hand.
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