Abgeschriebener Text oder auf die Seite des SPIEGEL klicken

HAUSMITTEILUNG

Datum: 10. Januar 1983 Betr.: Überwachungsstaat

Die Bundesrepublik Deutschland ist nicht der Orwell-Staat, natürlich nicht. Aber ist sie dagegen gefeit, einer zu werden?
Was in Fortsetzung der Titelgeschichte letzter Woche in diesem SPIEGEL über eine geheime „Aktion Paddy“ des Bundeskriminalamtes berichtet wird, über die erste „flächendeckende Video-Oberservation“ im Geltungsbereich des Grundgesetzes und über weitergehende, geradezu phantastische technische Möglichkeiten der Massenüberwachung, das sieht einer mehr als nur schleichenden Orwellisierung schon verteufelt ähnlich.

Autor des Berichts „Auf dem Weg zum Überwachungsstaat“ ist Hans-Wolfgang Sternsdorff, Redakteur im SPIEGEL-Ressort Deutschland II und Rechtsanwalt, in den letzten Jahren mehrfach Ansprech- und Gesprächspartner von Aussteigern aus der Terroristen-Szene. Die wesentlichen Informationen für seinen Bericht erhielt er von einem „Aussteiger der anderen Seite“ (Sternsdorff), dem ehemaligen BKA-Ingenieur Bernd Rainer Schmidt.

Der Optik-Spezialist Schmidt hat für das BKA raffinierte Überwachungsgeräte entwickelt und installiert, die der Abwehr von Terroranschlägen dienen sollen. Als ihm klar wurde, welches Missbrauchspotential in diesen Systemen steckt, wie ihr hybrides Wachstum und ihre zunehmende Vervollkommnung die gesellschaftliche Liberalität bedrohen, gab er seinen BKA-Posten auf und beschloss, sein Wissen als Warnung in die Öffentlichkeit zu tragen.
Ein halbes Dutzend Mal traf er sich mit Sternsdorff. Einige ihrer Gespräche hatten Tageslänge. Dabei bewährte sich immer wieder, laut Sternsdorff, „Schmidts beeindruckende Fähigkeit, komplizierte technische Sachverhalte mit einfachen Worten verständlich zu machen“. Nach dem, was er über die Entwicklung zu totaler sozialer Kontrolle per Video-Kabel-Raster-Computer-Verbund von Schmidt gelernt hat, zieht Sternsdorff eine ganz persönliche Konsequenz: „Ich weiß jetzt jedenfalls, dass ich kein Videogerät haben will und mich nie an ein Kabelnetz anschließen werde. Aber dann gerät man womöglich schon deshalb in Verdacht.“

 


Auf dem Weg zum Überwachungsstaat

SPIEGEL-Redakteur Hans-Wolfgang Sternsdorff über die „Aktion Paddy“ und die Videofahndung der Polizei

Die Gefahren des „großen Bruders“ sind nicht mehr bloß Literatur. Sie sind nach dem heutigen Stand der Technik real. Horst Herold, von 1971 bis 1981 Präsident des Bundeskriminalamtes, im Juni 1980.
Vom Ufer des Neckars steigt die schmale Straße schon bald steil an. Weiter oben, an der Bergkirche vorbei, führt die Wolfsbrunnensteige dann gleich in den Wald. Der Hang geht hinauf bis zum Königstuhl. Rechts, auf halber Höhe, ist es nur ein Fußweg von 20 Minuten zum Heidelberger Schloss.
Der Ortsteil Schlierbach liegt malerisch am Hang über dem Fluss, ein grünes Refugium für Pensionäre und Professoren der Ruprecht-Karls-Universität – abseits von Touristenlärm und hochgepäppelter Weinstuben-Romantik.

Unten, wo es zum Fluss geht, verläuft die Wolfsbrunnensteige 200 Meter parallel zur Bahnlinie Heidelberg-Jagstfeld. Hinter der Unterführung mündet sie in die starkbefahrene Schlierbacher Landstraße, die am Neckar entlang und am Karlstor vorbei ins Stadtzentrum führt.
Die Ecke Wolfsbrunnensteige/Schlierbacher Landstraße ist mit einer Ampelanlage gesichert.

Eine Leiter lehnt am Ampelmast. Der Schaltkasten für eine Blitzlichtanlage wird montiert. Abgestellt auf dem Bürgersteig ein VW-Passat, Rückfenster hochgeklappt, Werkzeug und Gerätschaften ringsum. An der Wagentür haftet ein Magnetschild: „Geoplan, Planung – Beratung“.
Das Schild dient der Tarnung. Der Wagen, mit Funktelefon und auswechselbarem Karlsruher Kennzeichen KA-YA 798, ist ein Fahrzeug vom Bundesnachrichtendienst (BND) in Pullach, der Monteur auf der Leiter ein Mann vom Geheimdienst. Er baut keine Blitzlichtanlage ein.
Im neuen Schaltkasten – mit einer winzigen Öffnung in Richtung Eisenbahnunterführung – ist eine Videokamera versteckt.

Zweihundert Meter oberhalb stehen rot-weiße Warnhütchen auf der Wolfsbrunnensteige. Vier Männer vom Bundeskriminalamt (BKA) in unauffälligen Monteurkitteln fräsen quer über die Fahrbahn eine Rinne in den Asphalt, zwei Zentimeter breit und drei Zentimeter tief. Sie verlegen ein Videokabel und verschmieren den Spalt mit Racofix, einem Schnelltrocken-Zement.

Neben den Bahngleisen harkt ein Arbeitstrupp den Schotter. Auch hier werden Videokabel verlegt. Als kurz nach dem Eilzug aus Jagstfeld plötzlich noch ein Gegenzug herandonnert, werden zwei BKA-Leute fast überfahren. Der Lokführer gibt ein Warnsignal.
Zwanzig Minuten später ist die Bahnpolizei zur Stelle. Die aufgebrachten Beamten wollen wissen, was hier am Gleiskörper vor sich geht. Knappe Antwort: „Wir sind vom BKA und müssen Leitungen verlegen. Die Bundesbahndirektion hat Bescheid aus Wiesbaden erhalten.“
Die Auskunft war falsch. „Aber es genügt in solchen Fällen eigentlich immer“, erzählt ein BKA-Insider, „wenn wir das Stichwort `Bundeskriminalamt` nennen. Das ist wie ein Zauberwort – prompt läuft alles wie geschmiert, und keiner fragt mehr irgendwas.“
Auch die Heidelberger Bahnpolizisten geben sich zufrieden. Mehr hätten sie ohnehin nicht erfahren. So brisant und geheim ist die BKA-Aktion, dass auch keine der betroffenen Amtsstellen nähere Informationen erhalten darf.

Vierhundert Meter oberhalb der Bahnstrecke, gegenüber der Bergkirche, liegt das Grundstück Wolfsbrunnensteige 8. Die hellgraue Villa aus der Gründerzeit steht in einem parkartigen Gelände mit altem Baumbestand.
Dort wohnt der amerikanische Vier-Sterne-General Frederick J. Kroesen, 59, Oberbefehlshaber der US-Armee in Europa.
Spätestens seit Oktober 1980 gehört Kroesen zu den besonders gefährdeten Personen. Den Terrorfahndern war in einer konspirativen Wohnung in Heidelberg ein Strategiepapier der RAF und eine Blaupause vom Grundriss der US-Kaserne „Hammonds Barracks“ in Mannheim-Seckenheim in die Hände gefallen. Zu dieser Zeit war in dem Kasernenkomplex der Nato-Führungsstab untergebracht.

In einem internen BKA-Bericht „Amtlich geheimgehalten“, Referat TE 32, Az. 6452.07 – notiert der Leitende Kriminaldirektor Zabel, Chef der Abteilung für Fahndungsprogramme, am 8. Januar 1981 :
Die Tatsache des Fundes im terroristischen Schriftmaterial beweist die zielgerichtete Beschaffung. In Verbindung mit den anderen zahlreichen Hinweisen auf Veranstaltungen im amerikanischen Bereich in und um Heidelberg, speziell aber auch dem Patrick-Henry-Village, Wohnsitz mehrerer potentieller Opfer, müssen diese Fakten insgesamt als Beweis für konkrete Anschlagvorbereitungen gegen die Institutionen der multinationalen Führungsstäbe und ihre Leiter gewertet werden.

Fünf konspirativ getarnte Videokameras werden allein zur Absicherung der Kroesen-Villa eingebaut.
Kamera 1 im Blitzampelkasten deckt die Einfahrt von der Uferstraße in die Wolfsbrunnensteige ab. Die mit einer starken Zoom-Optik ausgestattete Kamera, die jedes Bild bei Bedarf auch noch zehnfach vergrößern kann, ist auf die Bahnunterführung gerichtet. Die Kennzeichen aller ein- und ausfahrenden Fahrzeuge können abgelesen, Gesichtszüge und Verhalten der vorbeikommenden Personen kontrolliert werden.
Kamera 2 wird in einen Siemens-Schaltkasten eingebaut und an der Mauer der Bahntrasse befestigt. Von hier lässt sich der schluchtartig verlaufende Straßenzug der Wolfsbrunnensteige optimal einsehen: Abgestellte und möglicherweise mit Sprengstoff präparierte Fahrzeuge können sofort geortet werden.
Kamera 3 verstecken die BKA-Techniker in einem alten Ölfass, das sie zuvor in Wiesbaden zum Geheim-Container umgerüstet hatten. Postiert wird es auf dem Kroesen-Grundstück oberhalb der Umfassungsmauer. Von hier ist der Ausblick über den oberen Straßenabschnitt am besten.
Kamera 4 und 5 sind im Eingangsbereich der Kroesen-Villa zehn Meter hoch in zwei vom Bundeskriminalamt eigens dafür konstruierten Vogelhäuschen untergebracht. Einstellbare Umlenkspiegel in den Vogelkästen gewährleisten, dass jeweils verschiedene Straßenausschnitte optisch perfekt erfasst werden können.

Doch abzusichern war nicht nur der Wohnsitz des Vier-Sterne-Generals Kroesen in Heidelberg-Schlierbach. Das „Objekt1“ im geheimen Fahndungsplan dieser ersten „Flächendeckenden Video-Observation“ (BKA) war nur ein Teilstück in jenem völlig neuartigen Überwachungssystem, für das es selbst im internationalen Maßstab im Polizeibereich und auch bei den Geheimdiensten bisher kein Beispiel gab.
Fünf Kilometer südwestlich vom Stadtzentrum, längs der Autobahn Heidelberg-Karlsruhe, liegt die US-Siedlung Patrick-Henry-Village, eine Wohn- und Schlafstadt für Armeeangehörige mit Siedlungsblöcken und Einfamilienhäusern. Hier, im Umkreis von etwa einem Kilometer, wohnten vier weitere gefährdete Generäle aus dem Nato-Führungsstab („Objekt2“)

„Objekt 3“ liegt sogar 20 Kilometer weit entfernt: Mannheim, Wilhelm-Leuschner-Straße 30. Dort, in einem Villenvorort zwischen Grünanlagen, wohnt der Generalmajor der Britischen Streifkräfte, Michael F. Reynolds.
Das Geheimunternehmen läuft im Bundeskriminalamt intern unter dem Kode-Namen „Aktion Paddy“. Es markiert den Einstieg in ein neues Zeitalter der Überwachung.

Insgesamt zehn einzelne Beobachtungspunkte (Wohnhäuser und Straßenabschnitte), geographisch in einem Umkreis von 30 Kilometern verstreut, waren gleichzeitig und auf unbestimmte Dauer – tatsächlich lief die Aktion über mehr als sechs Monate – optisch so zu observieren, dass sämtliche Veränderungen in den gewohnten Lebensabläufen festgestellt werden, weil daraus Hinweise auf Planung und Vorbereitung von Gewaltanschlägen abzuleiten sein könnten.
Mehr noch: Erstmals sollten alle optisch erfassten Geschehensabläufe zugleich auch festgehalten, elektronisch gespeichert und für die Erstellung von Fahndungsrastern ausgewertet werden.

Der Schlüssel zur Lösung der kriminaltaktischen Sonderaufgabe lag in der schnellen Entwicklung der modernen Videotechnik. Das größte Problem bestand darin, die Filmstreifen sämtlicher dreizehn Videokameras live zur Aufzeichnung und Datenauswertung an die Observationszentrale im Heidelberger Stadtzentrum zu übermitteln.

Erfahrungen mit der Übertragung von Videosignalen über so große Entfernungen gab es bei den Sicherheitsbehörden nicht. Aufgebaut wurde ein Übertragungsnetz, bei dem sämtliche Techniken für die Übermittlung von Bildsignalen im Mischbetrieb eingesetzt waren: Schwarz-Weiß- und Farb-Videobilder kamen schließlich über mehrere Funkstreckenwege, über Laserstrahl und – was selbst die Bundespost für technisch undurchführbar hielt – sogar über Telefonkabel auf die Monitore in der Zentrale.

Die Zusammenarbeit der Polizei mit den Nachrichtendiensten gestaltete sich auf dem kurzgeschlossenen Amtsweg enger, als es nach der verfassungsrechtlich gebotenen Aufgabentrennung zulässig ist. Zwar hatten die Geheimdienstler kaum Brauchbares an Gerätschaften beizusteuern, halfen aber vor Ort mit handwerklichem Können aus, um bei der Entwicklung der neuen Wunderwaffe auch gleich Know-how für den Eigenbedarf abzuluchsen. An den geheimen Lagebesprechungen in Wiesbaden nahmen stets Herren von Bundesnachrichtendienst und Verfassungsschutz teil.

Das BKA vergab Entwicklungsaufträge an die Industrie, beschaffte sich Spezialkameras in Sonderanfertigung und graste auf der Suche nach immer ausgefallenerer Kriminaltechnik den Weltmarkt ab. Gesamtkosten der „Aktion Paddy“, einschließlich Personalaufwand: mindestens eine Million Mark.
Die moderne Videotechnik, als Spielzeug der Überflussgesellschaft und Heimkino des Bürgers bar jeder Bedrohlich, ist mittlerweile fest im Griff der Staatsgewalt: das ideale Instrument zum Ausspähen, wer oder was auch immer in dieser Gesellschaft von der Norm abweicht.
Über Jahre hinweg war die vom einstigen BKA-Chef Herold bedenkenlos betriebene Computerfahndung mit seinem allgegenwärtigen „elektronischen Schleppnetz“ ein Reizthema dieser Republik gewesen. Als schließlich ruchbar wurde, dass auch Tausende gänzlich unbescholtener Bürger in seine Verdachtsfallen geraten waren und der überzüchtete Fahndungsapparat der politischen Kontrolle zu entwachsen drohte, wurde Herold gestoppt und aus dem Amt gedrängt – „die vielleicht wichtigste Entscheidung in unserer ganzen Regierungszeit“, wie einer der engsten Mitarbeiter des liberalen Ex-Innenministers Gehart Baum resümiert.

Mit dem Griff nach der Videotechnik ist Herolds Kriminalphilosophie von der transparent und damit beherrschbar zu machenden Gesellschaft inzwischen wiederauferstanden. Das neue System stößt an keine technischen Grenzen mehr.
Der Plan zur Verkabelung der Republik mit einem „Breitbandigen Integrierten Glasfaser-Fernmelde-Ortsnetz“ (Bigfon), vorangetrieben vom christdemokratischen Postminister Schwarz-Schilling im Verein mit seinem CSU-Kollegen Zimmermann („Es wird keine Einschränkungen des Ausbaus mehr geben“) als oberstem Dienstherrn für Bundespolizei und Verfassungsschutz, ist jedenfalls ein Programm, das auch die Voraussetzungen zur totalen Überwachung dieser Republik bereitstellt.

Der im Bild erfasste Mensch, sein Gesicht, seine Bewegungen und Handlungen amtlich abrufbar gespeichert – das sind Meilensteine auf dem Weg zum Überwachungsstaat.
Entworfen war das System, um Verbrecher einzufangen – oder wen Polizisten dafür halten mögen. Aber das neue Bildernetz macht potentiell alle zu Betroffenen. Es fängt Schuldige wie Unschuldige ein, und der Missbrauch liegt schon im System. Orwells Schreckbild vom „gläsernen Menschen“ ist Wirklichkeit geworden.
Die „Aktion Paddy“ blieb denn auch kein Einzelfall. Seither wurde die Privatsphäre Tausender von Bürgern ausgespäht. Friedliche Demonstranten sind ebenso darunter wie Mitglieder von Wohngemeinschaften und harmlose Passanten in Bahnhofspassagen. Kaum einer ahnt davon. Doch das Bildernetz wird ständig weiter ausgebaut.

Für die technische Gesamtplanung war im Bundeskriminalamt ein Entwicklungsingenieur verantwortlich: Bern Rainer Schmidt, 31. Er hatte ein paar Jahre Erfahrung aus der optischen Industrie mitgebracht, als er 1979 beim BKA eintrat. In Wiesbaden kam Schmidt gleich in die Abteilung KI 15 beim „Kriminalistischen Institut“ – Teil jener kriminaltechnischen Bereiche, die für Herold das Herzstück seines ganzen Amtes sind, das „enorme Möglichkeiten eröffnet“ und ihm gar die „partielle Verwirklichung eines kulturellen Anspruchs“ in Aussicht stellte.
Zum Aufgabenbereich des jungen Physikingenieurs gehörten in erster Linie die „Planung, Entwicklung und Konstruktion von elektronisch-optischen Geräten und Übertragungssystemen nach operativ-taktischen Erfordernissen“.

Aber Bernd Schmidt wurde auch mit dem Aufbau „eines technisch-optischen Erprobungs- und Entwicklungslabors“ betraut, er musste den Weltmarkt nach jeder Neuentwicklung in der Videotechnik im Auge haben, die Wärmebild- und Farbvideo-Technik für Überwachungsmaßnahmen erproben, den Informationsaustausch mit Sicherheitsbehörden im In- und Ausland pflegen und auf Vorträgen dafür sorgen, dass die Resultate seiner Forschungs- und Entwicklungsarbeit auch bei den Polizeibehörden der Länder bekannt und in die Praxis umgesetzt wurden.

Seine Vorgesetzten beim Bundeskriminalamt waren von ihrer Neuerwerbung begeistert. In einem Dienstzeugnis vom März 1982 heißt es:
Herr Schmidt geht die Problemstellung seines Arbeitsgebietes systematisch und zielstrebig an. Dabei zeigt er ein hohes Maß an Eigeninitiative und Selbständigkeit ... Herr Schmidt ist in der Lage, komplexe und fachübergreifende Sachverhalte im Kern zu erfassen. Bei der Problemlösung verwirklicht er ideenreich eigene Vorstellungen. Dabei urteilt er selbständig und ausgewogen ... Sein gediegenes Fachwissen findet im Kreis der Mitarbeiter und bei den Fachabteilungen des Amtes Anerkennung ... Besonders auffällig ist seine positive Grundeinstellung.

Inzwischen hat sich seine Grundeinstellung gewandelt. Bernd Schmidt spricht heute anders über seine Arbeit: „Ich habe allmählich mitgekriegt, dass es nicht nur um den Schutz der Generäle ging. Mein Wissen wurde missbraucht. Die von mir aufgebaute Technik wurde das Instrument für einen Überwachungsapparat, dem keine Grenzen mehr gesetzt sind. Als ich sah, welche sozialpolitischen Dimensionen das annimmt, konnte ich einfach nicht länger mitmachen.“

Abrupt brach er’s eine Karriere ab und kündigte beim BKA. Entwicklungsingenieur Bernd Schmidt ist der erste prominente Aussteiger beim Bundeskriminalamt.
„Ich werde mich nicht verstecken“, sagt er heute, „ich stehe zu meiner Überzeugung und halte es für meine Pflicht, öffentlich vor einer Entwicklung zu warnen, die ich selber in Gang gebracht habe. Persönlich werde ich daraus nur Nachteile haben; selbstverständlich lasse ich mich dafür nicht bezahlen, und was mir das alles an Folgen eintragen wird, muss ich in Kauf nehmen.“

Die „Aktion Paddy“ bildete für das Bundeskriminalamt den Auftakt zu einer neuen Ära der Kriminaltechnik mit praktisch unbegrenzten Möglichkeiten. „Aufgrund der zwingenden praktischen Lagevoraussetzung“, heißt es in einem BKA-internen Aktenvermerk, „wurde die Technik ohne Erprobungsphase direkt als operativ verwendbares System entworfen.“

Die Bundespost ließt bereitwillig ihr Telefonnetz anzapfen, baute auch selber die notwendige Technik zur Übermittlung der Observationsbilder mit ein und nahm einen Bruch des Fernmeldegesetzes in Kauf. Breitband-Stromwege dürfen nur für eine Mindestüberlassungsdauer von fünf Jahren gemietet werden. Das aber war der Polizei zuviel, denn so lange würde sich die RAF bei den Generälen wohl nicht auf Lauer legen wollen.
Im Bonner Postministerium erteilte der Ministerialbeamte Kohlstock die Erlaubnis für eine Fernsehfunk-Anlage mit Infrarot-Laser und auch „ausnahmsweise und unter Zurückstellung meiner erheblichen Bedenken“ eine „Versuchsfunkgenehmigung“ zum „Errichten und zum Betreiben von Fernseh-Funkanlagen des nichtöffentlichen beweglichen Landfunkdienstes“.

Wegen „der besonderen Sachlage“ sah der Beamte „in diesem Fall davon ab, die Genehmigung von der schriftlichen Zustimmung des Bundesministers des Inneren abhängig zu machen“, nur – in Geldsachen auch bei höchster Gefahr noch korrekt – auf Ausstellung der Rechnung wollte er nicht verzichten: „Die Genehmigungsgebühr beträgt monatlich 8 DM.“

Oben am Wachhäuschen vor dem Kroesen-Wohnsitz wurden die Bildsignale aller fünf Kameras zusammengefasst und in das dort vorbeiführende Telefonleitungsnetz der Nato eingespeist. Aber auch bei der US-Armee sind die Telephonkabel nur für Tonübertragung ausgelegt, so dass die BKA-Techniker immer wieder Zwischenverstärker einbauen mussten, um ihre Videobilder auf der Telefonschiene zu übermitteln.
Das Nato-Kabel führt zum US-Headquarter nach Heidelberg, verläuft sechs Kilometer lang quer durch den Wald und liegt einen Meter tief im Erdreich verbuddelt. Tagelang hoben die Männer aus Wiesbaden den Waldboden aus, pulten aus dem Gewirr von zweihundert Leitungspaaren die richtigen heraus, justierten Kontrast und Trennschärfe der Bilder und bauten Signalverstärker in wasserdichte Kunststoffkästen ein.

Die Observationszentrale für das gesamte Überwachungssystem, wo am Ende sämtliche Videobilder aus allen drei „Objektbereichen“ – Kroesen-Wohnsitz, Patrick-Henry-Village und Mannheimer Generalsvilla – zusammenliefen, richteten die BKA-Leute „als polizeieigene konspirative Wohnung“ (BKA-Vermerk) im Gebäude des Counter Intelligence Corps (CIC), der Sicherheitspolizei der US-Armee, in der Römerstraße gegenüber dem Headquarter ein.
Im Patrick-Henry-Village (PHV), der eintönigen amerikanischen Wohnsiedlung längs der Autobahn, sollten gleich vier Generalsvillen mit Geheimkameras überwacht werden. Bester Standort für die Tarnbehälter, aus denen ein optimaler Rundblick über Häuser und Straßenzüge möglich war, waren hier die Straßenlaternen.

Beim Versorgungsingenieur der US-Truppe beschafften sich die BKA-Techniker komplette Oberteile solcher Laternen und ließen sie in der Werkstatt des Bundeskriminalamtes umbauen. Ins Kunststoffglas der Lampenschirme wurde ein Loch eingeschnitten, das der Größe des Kameraobjektives entsprach. Eingebaut wurden Newvicon-Restlichtkameras zum Stückpreis von 3.000 Mark, die selbst noch im Dämmerlicht bei Helligkeitswerten von nur mehr 1 Lux gestochen scharfe Videobilder liefern.

Trotz fortgeschrittener Miniaturisierung waren die Kamera-Modelle immer noch so groß, dass die Glühlampen nicht mehr mit in den Schirm passten. Tagelang hatten die Anwohner das Verlegen der Kabel und die aufwendigen Bauarbeiten an den Straßenlampen mitverfolgen können. Nun, nach Abschluss aller „Reparaturen“ blieben Abend für Abend vier Laternen plötzlich dunkel. Doch es kam nicht zu Reklamationen.

Oben auf dem Schornstein des alten Heizwerks sollte zusätzlich noch eine Infrarot-Wärmebildkamera installiert werden. Das hochempfindliche Gerät arbeitet auch nachts bei vollständiger Dunkelheit. Anstelle von Lichtimpulsen zeichnet es Wärmestrahlungen auf. Die Infrarot-Strahlung ist für das menschliche Auge nicht wahrnehmbar. Aufgrund ihrer physikalischen Eigenschaften durchdringen diese Strahlen auch lichtundurchlässige Materialien.
Moderne Infrarot-Kameras können mit ihren Detektoren bereits extrem geringe Wärmestrahlen wahrnehmen. Es gibt schon heute sogenannte Thermographie-Kameras, die Temperaturunterschiede von nur 0,01 Grad Celsius auflösen und bildlich darstellen können.

Statt des üblichen Abbildes von einem Gegenstand wird die von seiner Oberfläche abgegebene Infrarot-Strahlung aufgezeichnet und sichtbar gemacht. Wärmere Flächen erscheinen dabei heller, kältere dunkler. Im Heidelberger PHV sollte die Infrarot-Kamera Personen aufspüren, die sich nachts womöglich durchs angrenzende Kornfeld anschleichen. Auf dem Monitor ließe sich im Idealfall auch erkennen, ob die dunkle Gestalt wohl bewaffnet ist: MP oder Revolver – weil das Metall kälter ist – zeichnen sich als dunkler Umriss deutlich von den umgebenden Körperkonturen ab.

Eine dieser Kameras, die von der britischen Kriegsgeräte-Firma Marconi hergestellt werden und etwa 30.000 Mark kosten, gehört zum kriminaltechnischen Fundus des BKA. Sie wird meist bei Hubschrauberflügen eingesetzt, etwa über schwer einsehbaren Waldstücken in Grenznähe, wenn Schmuggler geortet werden sollen. Doch das teure Stück kam aus organisatorischen Gründen bei „Paddy“ nicht zum Einsatz.

Die Videobilder aller vier Kameras, die in den umgebauten Laternen surrten, wurden mit Bonner Sondergenehmigung vom PHV über das Telefonnetz der Bundespost zur fünf Kilometer entfernten Observationszentrale übermittelt. Trotz höchster Gefahrenlage nicht umsonst: 2.500 Mark an monatlicher Kabelmiete stellt die Post den Terrorfahndern in Rechnung.

Die mit Abstand heikelste Aufgabe aber bei der ersten „flächendeckenden Video-Observation“ mit zentralgesteuerter Kameraüberwachung lag in der Absicherung von „Objekt 3“, dem Wohnsitz des britischen Generalmajors Reynolds in Mannheim. Es war da aufwendigste Teilstück im Überwachungsnetz der Polizei und zugleich der Vorstoß in ein kriminaltechnisch unerforschtes Neuland.

Die Villa am Stadtrand in der Wilhelm-Leuschner-Straße 30 ist von drei Seiten zugänglich und lag 20 Kilometer Luftlinie von der Observationszentrale in Heidelberg entfernt – zu weit, um die Bildsignale dorthin per Kabel zu übermitteln.

Für Kamera 10 baute das BKA einen Spezialpapierkorb mit doppeltem Boden, ob ein Plastikeinsatz mit Holzverzierung, unten Metall. Ins Unterteil wurde die Kamera eingepasst, die Stromzuführung kam aus dem einbetonierten Ständer. Den Tarnbehälter stellten die Kriminaler am Rand des öffentlichen Spazierwegs auf, der hinter der Reynolds-Villa durch die Grünanlagen führt. Zwar lag das Objektiv nur 20 Zentimeter über dem Boden, konnte aber sämtliche Spaziergänger erfassen; gelegentlich und in Nahaufnahme allerdings auch Hunde, die an der kostspieligen Apparatur respektlos das Bein hoben.
Eine weitere Kamera kam in einen leeren Postverteilerkasten, den das BKA an der Straßenfront vor dem Haus montierte. Mit der eingebauten Zoom-Optik konnten nicht nur alle herankommenden Fahrzeuge und Personen ausgemacht, sondern auch der Erfassungsbereich des Objektivs variiert werden.
Kamera 12 und 13 waren in einer „Black Box“ verborgen, einem mit getontem Glas getarnten Container, der an der Balkonbrüstung des Hauses angebracht wurde. Im Glas-Gehäuse steckte zusätzlich noch eine Photokamera, die im Bedarfsfall hochwertige Fahndungsphotos schießen konnte.

Die Kameras in der „Black-Box“ waren eigens auf einen Schwenk-Neige-Kopf montiert, der einen Schwenkwinkel von 180 Grad ermöglichte, und überdies mit so starker Zoom-Optik ausgerüstet, dass die Bewegungen aller vorbeigehenden Passanten verfolgt, ihre Gesichter aber auch ins Großformat herangeholt und mit Passbild-Qualität in der Zentrale abgespeichert werden konnten.

Die Kameras wurden über Funk-Fernsteuerung direkt aus der Observationszentrale in Heidelberg bedient – sogar für den BND war das eine Uraufführung. Auch die Umschaltung von einer Kamera auf die andere lief per Funk-Fernsteuerung über Polizei-Sprechfunkkanäle aus 20 Kilometer Entfernung. Die Sprechfunkgeräte übermittelten ihre Signale kodiert nach Mannheim, und dort wurden sie von der eingebauten Funkschaltautomatik der Kameras in die entsprechenden Befehle übersetzt
.
Hatte der Observationsbeamte in der Zentrale die Farbkamera angewählt und mit zehnfacher Zoom-Vergrößerung gerade die Gesichtszüge eines Spaziergängers erfasst, so konnte er durch einfaches Umschalten auf die andere Fernsehkamera vor Ort gleich auch wieder ein großes Übersichtsbild empfangen und sehen, wo der Mann hinläuft. Zudem ließ sich per Funksignal mit der Photokamera auch noch ein exzellentes Fahndungsphoto schießen.
Die Überwachungszentrale in Heidelberg lag ungünstig – mitten im bebauten Stadtgebiet. Selbst auf dem Dach kamen die Video-Funkbilder zunächst nur schemenhaft und mit Störungen an. Auf einem zwei Kilometer entfernten Sendeturm der US-Armee bauten die BKA-Techniker auf Weisung von Schmidt deshalb ein Empfänger-Relais als Zwischenstation auf. Von dort wurden die Videobilder über Laserstrahl zur Zentrale gesendet.

Die Laserstrecke kostete zwar noch einmal 60.000 Mark; aber „das Bild war phantastisch“ schwärmt der Physikingenieur Schmidt noch heute, und – weil „obendrein absolut konspirativ, es kann nicht abgehört werden“.

Gereizt hatte die BKA-Leute noch ein anderer Plan. Mit einem Relais im Auto war Schmidt zu Versuchszwecken auch mal auf den Königstuhl gefahren. Dort, auf der 500 Meter hohen Erhebung bei Heidelberg, „kamen die Farbbilder in allerbester Qualität an“.

Technisch wäre es ohne weiteres möglich gewesen, sie sogar bis nach Wiesbaden zum Bundeskriminalamt weiterzufunken – dem Chef für die Fahndungsprogramme, Kriminaldirektor Zabel, direkt in den Monitor auf seinem Schreibtisch. Schmidt: „Der hätte dann per Knopfdruck sehen können, was an sämtlichen Objekten der Aktion Paddy gerade vor sich ging.“ Doch in diesem Fall widerstanden die Fahnder der Verlockung des Machbaren.
Auf den Monitoren in der Observationszentrale waren zwölf verschiedene Bilder zu sehen. Sie entsprachen den Standorten der einzelnen Kameras.
Speziell aus dem „Objektbereich1“, vom Wohnsitz des US-Generals Kroesen, kamen die Bilde in so hervorragender Qualität an, dass sich ein automatischer Bewegungsmelder aufschalten ließ. Das Gerät machte es möglich, dass von Kamera 1 beispielsweise nur die in die Wolfsbrunnensteige einfahrenden Autos aufgenommen und sämtliche Fahrzeugtypen wie Kennzeichennummern abgespeichert werden konnten – ohne Archivierung auch aller Fehlzeiten, in denen die Kamera keine Bewegungen registriert.

Extra aus Amerika beschafft wurde ein Spezial-Bildplattenspeicher (Kosten: 9.000 Mark), das einzige auf dem Weltmarkt erhältliche Gerät, das die Videobilder von bis zu 15 Kameras mit einem einzigen Langzeitrecorder in der Weise speichert, dass sie später stets wieder in der richtigen zeitlichen Abfolge und getrennt nach jeder einzelnen Kamera abgerufen werden können.

Eine Observationsgruppe des Bundeskriminalamtes und eine in Heidelberg stationierte Sonderkommission mit mehreren Spezialfahrzeugen gingen rund um die Uhr allen verdächtigen Spuren nach, die die Kameras in den drei Objektbereichen einfingen.

Sie überprüften sämtliche Kennzeichen von Personenwagen, die an den geschützten Villen vorüberfuhren und nicht zu den Anliegern in der Nachbarschaft gehörten, sie verfolgten Fußgänger bis zur Heimkehr in ihre Wohnung und legten Photoalben mit den Porträts beispielsweise solcher Personen an, die mehrfach vorüberkamen.
Als schließlich alle installierten Kameras liefen, die komplizierte Bildübertragung von allen Objektbereichen zur Zentrale fehlerlos funktionierte, die optischen Daten auf Speicher liefen und ausgewertet wurden, flog im August eigens ein Vier-Sterne-General aus dem Pentagon von Washington ein, um das Meisterwerk zu besichtigen.

Der Befehlshaber war begeistert, verteilte Lob nach allen Seiten und war sich mit Günter Ermisch, dem damaligen Vizepräsidenten des Bundeskriminalamtes, und den Spitzenbeamten der Geheimdienste darin einig, dass hier das Modell für ein Überwachungssystem verwirklicht worden war, mit dem in Zukunft die unbegrenzte und perfekte Kontrolle nahezu aller menschlichen Lebensabläufe möglich sein würde.

Projekt-Ingenieur Schmidt: „Das System lässt sich beliebig ausbauen. Selbst bei dem Modell Heidelberg/Mannheim hätten es statt dieser drei ebenso gut auch schon zehn oder mehr Objektbereiche sein können. Das wird zwar alles noch viel aufwendiger, aber technisch machbar ist es schon heute.“
Videofahndung mit flächendeckender Observation – ein legales Instrument der Polizei, weil es gegen gefährliche Verbrecher eingesetzt wird, die sich im elektronischen Bildernetz verfangen sollen?

Oder vollzieht sich hinter der Fassade des populären neuen Mediums insgeheim bereits der Aufbau eines gigantischen Spitzelsystems – im Widerspruch zu Grundgesetz und Datenschutz?

Der Übergang vom klassischen Observanten alter Schule mit Sonnenbrille und hochgeklapptem Mantelkragen zur Massenüberwachung und ihrer technisch möglichen Vervollkommnung durch das Kabel-Kommunikationsnetz bedeutet zwangsläufig eine Herausforderung überkommener Rechtsprinzipien, die das politische Bewusstsein in diesem Staat ebenso in Frage stellt wie letztlich auch sein Menschenbild.
Denn auf der Basis der geltenden Gesetze hat die Polizei in der Bundesrepublik bis heute lediglich zwei Aufgabenbereiche: Strafverfolgung und Gefahrenabwehr. Ihre Befugnisse sind zudem an besondere Voraussetzungen gebunden, die den Rahmen der legalen polizeilichen Tätigkeit abstecken:
Maßnahmen der Strafverfolgung (Repression) sind nur insoweit zulässig, als ein konkretisierbarer und auf Fakten gestützter Tatverdacht vorliegt;
Maßnahmen der Gefahrenabwehr (Prävention) gegen „Störer“ dürfen Polizeibeamte nur dann ergreifen, wenn eine konkrete Gefahrensituation gegeben ist. Will die Polizei sogar gegen „Nichtstörer“ tätig werden, so müssen zusätzlich die Voraussetzungen des sogenannten „polizeilichen Notstandes“ erfüllt sein, mithin eine „gegenwärtige und erhebliche Gefahr drohen“.Nur scheinbar hat das Bundeskriminalamt 1974 mit der Vorschrift des Paragraphen 5 BKA-Gesetz eine weiterreichende Kompetenz auch zur „vorbeugenden Verbrechensbekämpfung“ – losgelöst von der im Einzelfall erforderlichen Gefahr – zugewiesen bekommen.

Tatsächlich haben solche Aufgaben normen jedoch keinen höheren Rand als die bestehenden Befugniszuweisungen. Im Gegenteil: Aus gutem Grunde begrenzt der Rahmen ihrer Befugnisse auch die Aufgaben der Polizei.

„Vorbeugende Verbrechensbekämpfung auch im Sinne des BKA-Gesetzes“ ist denn auch nach Ansicht des Bundes-Datenschutzbeauftragten, Professor Hans Peter Bull, „der Polizei nur insofern gestattet, wie das geltende Polizeirecht es gestattet ... Der Erfindungsgabe aller Polizeibehörden sind also rechtliche Grenzen gesetzt“.

Auf den ersten Blick bestehen kaum Zweifel, dass die Observationsmaßnahmen des Bundeskriminalamtes zum Schutz der Nato-Generäle gerechtfertigt waren. Die Hinweise auf bevorstehende Anschläge von Terroristen waren so konkret, dass die Fahnder von einer unmittelbaren Gefahrenlage für das Leben der Offiziere ausgehen durften. Die Verdachtsmomente richteten sich andererseits so massiv gegen den Täterkreis der RAF, dass auch unter dem Gesichtspunkt der Strafverfolgung Polizeimaßnahmen gerechtfertigt waren.

Der spätere Verlauf der Ereignisse bestätigte den Ermittlern auch noch hinterher, dass sie auf der richtigen Spur gewesen waren. Als General Kroesen am 15. September 1981 im gepanzerten Dienstwagen von seiner Villa auf den Weg zum Headquarter am Karlstor vor der Ampel anhielt, wurde das Fahrzeug von einer Panzerfaust des Typs „RPG 7“ getroffen. Das Geschoß, abgefeuert aus einem Waldstück oberhalb der Uferstraße, prallte vom Holm des Rückfensters ab. Kroesen und seine Begleiter kamen mit dem Schrecken davon.

Der Terroranschlag fand 800 Meter außerhalb der Observationszone statt. Chef-Fahnder Zabel vom BKA gab die Sache trotzdem als Erfolg seines Überwachungssystems aus: „Wir haben die Täter mit unseren Maßnahmen an diesen Steilhang und damit an einen für sie extrem ungünstigen Tatort abgedrängt. Deshalb haben sie auch nicht besser getroffen.“

Weniger Aufwand wäre womöglich wirksamer gewesen: Bei einem Kontrollflug mit dem Hubschrauber über das Waldgebiet rings um die Koresen-Villa hätte schon ein Schwenk mit der Infrarot-Kamera den Fahndern in der Nacht vor dem Attentat alle Täter in ihrem Zelt wie auf dem Präsentierteller dargeboten.

Bei näherem Hinsehen allerdings scheint die „Aktion Paddy“ rechtlich durchaus nicht so zweifelsfrei abgesichert. Denn betroffen von den umfangreichen Observationsmaßnahmen waren auch Hunderte gänzlich unschuldiger Bürger, gegen die noch nicht einmal ein Verdacht vorlag. Dass und bis in welche Details ihres Privatlebens sie dabei kontrolliert und überwacht worden sind, wissen sie alle bis heute nicht.
Allein im Umkreis der Kroesen-Villa wurden mehr als 200 Personen von der Polizei durchleuchtet, im Patrick-Henry-Village war die Zahl der Betroffenen noch weit höher. Autokennzeichen wurden überprüft, gespeichert und mit den Datenbeständen im Polizeicomputer „abgeglichen“, die Halter ermittelt, Spaziergänger verfolgt, Nachbarn und ihre Besucher „abgeklärt“, Berufe ermittelt und in jedem Zweifelsfall den Gründen nachgegangen, warum sich jemand der Observationszone aufhielt.

Tat er es gar mehrfach, verstärkten sich automatisch die Verdachtsmomente. In Mannheim, am Haus des britischen Generalmajors Reynolds, brachte sich ein für die Observanten unbekannter Mann arglos in persönliche Gefahr als er erst das Gebäude musterte und dann auch noch auf die Haustür zuschritt. Doch es war kein Terrorist, sondern nur der Schornsteinfeger.

Ein Problem für die Observanten waren Freunde und Besucher von Anwohnern in der Überwachungszone. Sie alle gerieten ins Blickfeld der Fahndung und wurden Objekt staatlicher Schnüffler. Wie viele Photos, Namen und andere Personalangaben harmloser Bürger auf diese Weise in die Datenbank des Bundeskriminalamtes eingingen, ist nicht bekannt.

Wie jedes staatliche Handeln unterliegen aber auch die Fahndungsmaßnahmen der Polizeibehörden dem verfassungsrechtlichen Gebot der Verhältnismäßigkeit: Zweck und Mittel jeder exekutiven Tätigkeit müssen sich an der Rechtsordnung ausrichten. Staatliche Eingriffe in geschützte Rechtsverhältnisse sind nur insoweit legitim, als dadurch nicht höherrangige Rechtsgüter verletzt als geschützt werden.

Eingriffe in die Privatsphäre einer unüberschaubaren Zahl unbescholtener Bürger und die hundert- oder gar tausendfache Verletzung von Persönlichkeitsrechten verbreitern die Kluft zwischen Grundgesetz und Verfassungswirklichkeit. Sie belasten das politische Klima und die Rechtsordnung am Ende schwerer, als wenn tatsächlich mal ein gefährlicher Verbrecher der Polizei für einige zeit durch die Lappen geht.

Der vielfache Verstoß gegen Persönlichkeitsrechte und damit gegen das Grundgesetz gehört unter dem Stickwort „Rasterfahndung“ seit Jahren zum bundesdeutschen Polizei-Alltag. Zu Millionen von Daten hat sich das BKA inzwischen den Zugriff verschafft und Informationen über unverdächtige Bürger gesammelt, um daraus Schuldige erst herauszufiltern.
Um Tatverdächtige oder Störer aufzufinden, um Spuren zu entdecken oder Hinweise auf geplante Verbrechen zu erhalten, tragen die Fahnder bei jeder Rasterfahndung zunächst einmal ganze Datenfluten bestimmter Bevölkerungsgruppen zusammen.

Einbezogen werden anfangs alle Personen, die bestimmte Auswahlkriterien erfüllen – beispielsweise alle Angehörigen von Wohngemeinschaften, alle Stromkunden, die ihre Rechnung bar zahlen, alle Brillenträger mit bestimmten Dioptrien oder alle Wohnungsinhaber, die ihre Miete nicht vom Konto überweisen.

Aus der Fülle des Datenmaterials ergeben sich zumindest schon Teil-Abbilder jeder Person. Bei der näheren Überprüfung nach speziell vorgegebenen Gesichtspunkten werden nach und nach immer mehr Unverdächtige ausgesiebt, bis am Ende ein Rest an Verdächtigen übrig bleibt – oder auch nicht.
Kein Betroffener kann sich rechtlich dagegen zur Wehr setzen, schon weil er gar nichts davon erfährt. Gleichwohl kann eine solche Maßnahme für den einzelnen, der vielleicht einen Job in der Verwaltung sucht, sogar existenzgefährdend werden, wenn sie an andere Behörden weitergeleitet wird.
Schon die Rasterfahndung alter Schule halten zahlreiche Juristen für verfassungswidrig. Tatsächlich existiert überhaupt keine Vorschrift, die sich zur Rechtfertigung heranziehen ließe. Mehr noch: Gerade aus diesem Regelungsdefizit leiten Polizeipraktiker ihre Freiräume ab und wehren sich gegen jede Abhilfe aus Bonn. „Die Forderung nach gesetzlicher Regelung“, schreibt Münsters Kriminaldirektor Wolfgang Steinke ganz ungeniert im Fachblatt „Kriminalistik“, „so legitim sie auch sein mag, birgt für die Polizei größte Gefahren in sich.“

„Möglichkeiten von Angriffen auf die Menschwürde“ sind sogar nach den Worten des ehemaligen BKA-Chefs Herold, dem die Republik die Computerfahndung samt allen ihren Auswüchsen letztlich verdankt, „bereits in den Strukturen der Elektronik angelegt ... Die Grenzenlosigkeit der Informationsverarbeitung würde es gestatten, das Individuum auf seinem gesamten Lebensweg zu begleiten, von ihm laufend Momentaufnahmen, Ganzbilder und Profile seiner Persönlichkeit zu liefern, es in allen Lebensereichen, Lebensformen, Lebensäußerungen zu registrieren, zu beobachten, zu überwachen und die so gewonnenen Daten ohne die Gnade es Vergessens ständig präsent zu halten“.

Überraschend daran ist nur die Konjunktiv. Was Herold hier noch als Schreckenspanorama ausmalt, ist in Teilbereichen schon heute Realität und lässt sich beim Verkabeln der Republik künftig mühelos perfektionieren.
Schon die heute übliche Rasterfahndung hat den polizeilichen Zugriffsbereich vorverlagert auf Unverdächtige und auf eine nur abstrakt angenommene Gefahrenlage. Sichtbar wird dabei die Tendenz der Sicherheitsbehörden, Gefahrenabwehr neu und umfassender als bisher zu definieren. Etabliert wird ein Begriff der Sicherheit, der sich nicht mehr nur auf die Gewährleistung der Legalordnung beschränkt, sondern die soziale Ordnung mit einbezieht.
„Multifaktorial“ sei der Sicherheitsbegriff geworden, sagt der Stuttgarter Landespolizeipräsident Stümper und enthüllt jenen erweiterten Legitimitätsanspruch der Polizei im Jahr vor Orwell, „Sicherheit ist ein in den unterschiedlichsten Wechselbeziehungen zu sehender Begriff. So wirken ineinander: Innere Sicherheit, äußere Sicherheit, psychologische Sicherheit, soziale Sicherheit, wirtschaftliche und spezielle energiepolitische Sicherheit, gesamtpolitische Sicherheit“.

Das präventionistische Interesse der Polizei wandelt sich damit, wie der Karlsruher Rechtswissenschaftlicher Eckart Riehle feststellt, „zu einem Interesse an sozialer Kontrolle“, und die Legalität des Alltag bleibe nicht länger abgeschottet gegenüber staatlichem Zugriff.
Riehle: „Sicherheitsprobleme definieren sich nicht mehr in bezug auf die Legalordnung, vielmehr am Leitfaden von Störungen der sozialen Praxis ... Das liefe auf die Etablierung einer im Vorfeld des Verdachts tätigen Polizei hinaus, also einer Polizei im Vorfeld des Rechts, deren Kontrolltätigkeit auf die Überwachung der Legalität und der Normtreue des Bürgers bezogen wäre.“

Auf diesem Wege ist die Praxis schon fortgeschritten. Dem elektronischen Fangnetz aus Herold Tagen hat sich mit dem Probelauf „Paddy“ jetzt ein zweites, völlig neuartiges Überwachungssystem hinzugesellt – diesmal mit Bildern auf Videobasis.

Die nächsten Einsätze des neuen Systems sind bereits gelaufen und markieren die Zielrichtung seiner Initiatoren: Betrieben wird nicht mehr Strafverfolgung oder Gefahrenabwehr, sondern die Spurensicherung von abweichendem gesellschaftlichem Verhalten. Verdächtig ist, wer von der Norm abweicht.
Angst, Anpassung und schließlich die Standardisierung der persönlichen Lebensgestaltung können die Folge sein. Mit der Weiterentwicklung der Rasterfahndung, so sieht es Rechtswissenschaftler Jürgen Simon aus Hannover, „rückt das Orwellsche Schreckbild des gesellschaftssanitär auf Anpassung und Konformität hin disziplinierten Menschen näher“.

Bei der Großdemonstration der Kernkraftgegner in Brokdorf im Februar 1981 waren die Polizeihubschrauber mit Videokameras und Sendern bestückt. Nicht nur die einzelnen Demonstrationszüge oder die Zusammenballungen von Aktionsgruppen an bestimmten Brennpunkten ließen sich damit abfilmen, sondern mit Hilfe besonders starker Zoom-Objekte gelangen auch Porträtphotos von bester Qualität.

BKA-Techniker in Wiesbaden konstruierten inzwischen auch die mobile Video-Überwachungsstation: Kamera und Sender in einen Pkw eingebaut. Die Optik besteht aus einem Endoskop, einer dünnen Stange mit Nadelöhrobjektiv an der Spitze. Für das Kamera-Auge genügt schon eine Öffnung von zwei Millimetern. Sie ließ sich ebenso konspirativ im Kühlergrill wie hinter manipulierten Rostlöchern irgendwo an der Karosserie unterbringen.
Die Kamera liegt im Kofferraum oder im Verbandskasten versteckt auf der Ablage hinter dem Rücksitz. Der Sender (Kosten: 30.000 Mark) und die 24-Volt-Batterie lassen sich problemlos unterbringen, er ist nicht größer als das DIN-A4-Format und nur zehn Zentimeter hoch. Als Richtstrahler dient eine zehn Zentimeter lange Metallstange; sie liegt, getarnt in einer Plastiktüte, hinter dem Rückfenster.

Die „bewegliche konspirative Station“ (BKA-Jargon) sendet nur ein paar hundert Meter weit. Aber das genügt in aller Regel, denn irgendwo in diesem Umkreis lässt sich erfahrungsgemäß auch eine konspirative Empfangsstation mit der nötigen Gerätschaft zum Speichern und Auswerten der Videobilder einrichten.

Der Prototyp des Observationswagens für die Videofahnder wurde polizeiintern ein Renner. Als erster fragte der mit Hausbesetzungen und Demonstrationen besonders heimgesuchte Berliner Polizeipräsident per Fernschreiben an, welche Erfahrungsberichte mit „Fahrzeugen für eine Beweissicherung durch Film und Photographie“ vorliegen, denn nach „den letzten gewalttätigen Auseinandersetzungen in Berlin wurde festgestellt, dass die polizeiliche Beweissicherung unbedingt ausgebaut werden muss“.

Das wurde sie inzwischen allenthalben, denn das BKA propagiert seine mobilen Videokommandos in Lageberichten an die Landeskriminalämter und Vorträgen auf der Polizeischule in Hiltrup.

In der hessischen Universitätsstadt Gießen wurden 1981 mehrere Brandanschläge auf Gebäude der US-Armee verübt. Kurz darauf tauchten Bekennerbriefe der „Revolutionären Zellen“ („RZ“) auf. Nähere Hinweise gab es nicht; das BKA hatte keinerlei Spuren sichern können, aus denen sich ein konkreter Verdacht gegen Einzeltäter oder Gruppen hätte herleiten lassen.

Letzter Ausweg: eine Videofahndung – ins Blaue hinein und gegen gänzlich Unverdächtige. Observiert wurden kurzerhand mal die Angehörigen von Wohngemeinschaften im Raum Gießen. Gegen die Leute lag nichts vor; sie waren ordnungsgemäß gemeldet und lebten in völliger Legalität.
Illegal war das Fahndungsprogramm: Der ganze Alltag der betroffenen Personen sollte transparent gemacht, die genaue Identität aller Freunde und Bekannten aufgelistet, das Beziehungsgeflecht jedes einzelnen WG-Mitgliedes ausgekundschaftet und polizeilich durchdrungen werden – könnte ja sein, dass auch mal ein wirklich Verdächtiger zum Tee hereinschaut.

15 Häuser waren in die Überwachungsaktion einbezogen. Eines davon lag so abgelegen im Nachbardorf Rödgen, dass es den BKA-Fahndern ausnahmsweise nicht gelang, dort eine Wohnung für die Observationsmannschaft und ihre Technik anzumieten.
Der Plan, einen mit Kamera und Sender bestückten Sammel-Container für leere Flaschen vor die Tür zu stellen, wurde als zu auffällig verworfen. Am Ende parkte bis März 1982 ein Video-Auto mit gefälschtem Giessener Nummernschild auf der Dorfstraße; die Empfangsstation zur Bild-Speicherung wurde zwei Kilometer entfernt einquartiert.

Gröber gezielt und deshalb noch fragwürdiger ist das BKA-Programm „Bahnfahndung“. Kriminaldirektor Zabel hatte schon im Frühjahr 1980 damit begonnen und 500 Bahnpolizisten aus allen Großstädten der Bundesrepublik in Sonderschulungskurzen ausgebildet.

Feste Stützpunkte mit Lagezentren hat das Bundeskriminalamt heute in Hamburg, Frankfurt und München installiert, ein viertes irgendwo im Großraum Rhein/Ruhr. Telefon, Fernschreiber und Telekopiergeräte stehen in verschlossenen Hinterzimmern, und die zentrale Zusammenschaltung aller offenen operierenden Videokameras auf Bahnsteigen, vor Schließfächern und den dunklen Ecken bei den Toiletten ist längst kein technisches Problem mehr.
Dem BKA war das zuwenig. Die anzuliefernde Menge der Bilddaten musste schon deshalb lückenhaft ausfallen, weil sich jeder den Augen der überall sichtbar aufgehängten Kameras gezielt entziehen kann. Der nächste Schritt war damit programmiert: Geheimkameras auch auf den Bahnhöfen.
Mehrere Nächte hindurch, während alle Zugänge zur unterirdischen „B-Ebene“ am Frankfurter Hauptbahnhof mit ihren Geschäften, Passagen und Kiosken von Eisengittern versperrt waren, baute Entwicklungsingenieur Schmidt auch dort eine geheime Video-Überwachungsanlage für das Bundeskriminalamt ein. Baubehörde und Bundesbahndirektion wussten als einzige Bescheid.

Ein runder Container von etwa einem Meter Durchmesser wurde oben am Kreuzgitterrahmen befestigt und in der Betondecke festgedübelt. Schmidt probierte mehrere Kameras aus. Am besten funktionierte es mit einer Drei-Röhren-Farbkamera, die 50.000 Mark gekostet hatte. Sie war nach allen Seiten schwenkbar, das Objektiv hinter einem nicht einsehbaren Drahtgeflecht versteckt.

Dreißig Meter entfernt vom Buch- und Zeitungsladen Montanus, die Rolltreppe zur Kaiserstraße und zur Bahnsteighalle im Blickwinkel, Schwenk-Neige-Automatik eingeschlossen und mit Zehnfach-Zoom-Objektiv bestückt, konnte die geheime Apparatur einfangen, was immer unter dem Frankfurter Hauptbahnhof vor sich ging – je nach Fahnderwunsch in der Totalen oder auch mal Köpfe im Porträtformat, die sich im BKA-Computer PIZ (Personenidentifizierungszentrale) mit den Datenbeständen abgleichen ließen.

Über Stunden hinweg kam eine Kioskverkäuferin ins Bild, Handelsgeschäfte verdeckter Art wurden gefilmt, Kontaktgespräche mit Prostituierten, anonyme Begegnungen wurden polizeibekannt.

Die Aktion sollte neue Erkenntnisse für Rasterfahndungsprogramme liefern: Gefragt war die Mimikry von Käufern mehrerer überregionaler Zeitungen – ein Personenkreis, zu dem auch Terroristen gehören -, Bewegungsabläufe vor Gepäckschließfächern, Kleiderwechsel auf Toiletten, Zeichensignale zwischen herumschlendernden jungen Leuten. Abgetastet wurden die Lebensäußerungen Tausender gänzlich Unverdächtiger auf der Suche nach Verhaltensformen, die Verdachtsmuster signalisieren können.

Die Bahnpolizei hatte dem BKA einen Raum überlassen, wo die über Kabel einlaufenden Videobilder mit Steuerpult, Monitoren und Recordern aufgefangen und ausgewertet wurden. Beamte aus der Chefetage in Wiesbaden kamen zur Besichtigung und waren begeistert. Kriminaldirektor Zabel wollte wissen, ob die Anlage innerhalb von Tagen beispielsweise auch in München aufzubauen wäre. Ingenieur Schmidt: „Natürlich geht das. Kein Problem.“
Überwachung total: Mit der staatlichen Registrierung, Speicherung und Auswertung aller Formen persönlicher Lebensäußerung, bei denen auch noch die privatesten, flüchtigsten und scheinbar anonymen Beziehungen des einzelnen zu anderen Personen, Dingen, Orten oder auch Texten festgehalten werden und Bedeutung erlangen können, wird tief in die Autonomie der menschlichen Selbstdarstellung eingegriffen und das Persönlichkeitsrecht im Kern verletzt.
Denn das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, eine Ausgestaltung des Verfassungsprinzips von der Menschenwürde, umfasst nicht nur die aktive Komponente der allgemeinen Handlungsfreiheit, sondern hat auch einen statisch-passiven Aspekt, das Recht auf Respektierung des geschützten Privatbereichs.

Das Bundesverfassungsgericht zog 1980 eine klare Trennungslinie, jenseits derer die Privatsphäre des einzelnen nicht zum Objekt staatlicher Ausforschung herhalten darf:

Der einzelne soll – ohne Beschränkung auf seine Privatsphäre – grundsätzlich selbst entscheiden können, wie er sich Dritten oder der Öffentlichkeit gegenüber darstellen will, ob und inwieweit von Dritten über seine Persönlichkeit verfügt werden kann; dazu gehört im besonderen auch die Entscheidung, ob und wie er mit einer eigenen Äußerung hervortreten will, insofern gilt das gleiche wie für das Recht am gesprochenen Wort, das die Befugnis des Menschen schützt, selbst zu bestimmen, ob seine Worte einzig dem Gesprächspartner, einem bestimmten Kreis oder der Öffentlichkeit zugänglich sein sollten.

Problematisch aber wird es mit diesem „Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung“, so der Frankfurter Rechtsprofessor Erhard Denninger, „wenn der Betroffene von der Weitergabe persönlichkeitsrelevanter Daten oder Äußerungen nichts erfährt, mit ihr nicht rechnet oder sich über sie gar keine Gedanken macht“, aber alle seine Kommunikationsbeziehungen etwa im Rahmen einer Videofahndung ins Kraftfeld öffentlicher Interessen geraten.
Schon längst lassen sich auch alle Verkehrsüberwachungskameras an Straßen, Plätzen, Bahnhöfen, Kaufhäusern und öffentlichen Gebäude zentral zusammenschalten, Panoramen vielfältiger Lebensabläufe anliefern und die Flut der Bilderdaten auswerten.

Die Speicherkapazität der modernen elektronischen Datenverarbeitungsgeräte ist nahezu unbegrenzt, und das Material, auf dem diesen Informationsmassen gespeichert werden, wird mit den sich explosionsartig verbreitenden Anwendungsmöglichkeiten immer billiger.

„Wenn man beispielsweise in Gießen nur noch zehn weitere Videokameras anbringt, und ich wüsste natürlich auch genau wo“, sagt Projektingenieur Schmidt, der auf einem Dort in der Nähe der hessischen Universitätsstadt lebt und heute Pädagogik studiert, „dann hat man in so einem kleinen Ort – zumal abends und in der Nacht – ganz genau im Blick, wer wohin geht, sich mit wem trifft, sich wie lange irgendwo aufhält, was er beobachtet, jemandem übergibt, in welches Kino geht, welcher Frau nachstellt, an welchen Veranstaltungen teilnimmt. Damit weiß man schon eine ganze Menge und kann Schlüsse daraus ziehen.“

Allein in Hannover überwachen heute schon 25 Videokameras alle wichtigen Straßen und Plätze. Die Bilderflut läuft zur Observation auf die Monitore einer Leitzentrale, von der aus Polizeieinsätze dirigiert werden – wie erst im letzten Monat gegen die Punker.
Die enorme Menge an zusätzlichem Wissen und damit an Macht über jeden einzelnen, die dem Staat auf diese Weise zuwächst, ist weder Zufallsprodukt noch ungewollte Nebenfrucht der zweiten industriellen Revolution. Den riesigen Seismographen, der sämtliche gesellschaftliche Vorgänge, Strukturierungen und Umstrukturierungen rechtzeitig oder gar vorzeitig erfasst, hat niemand so konkret vorausgedacht und herbeigewünscht wie der einstige BKA-Chef Herold.

Im Sommer 1980 hatte er dem Frankfurter Juristen und Publizisten Sebastian Cobler für das „Kursbuch“ ein Interview so enthüllenden Inhalts gegeben, dass er die Druckerlaubnis zurückzog und von einigen Passagen als „aus dem Zusammenhang gerissen“ abrückte, nachdem es die Zeitschrift „Transatlantik“ später doch veröffentlicht hatte.

Auszüge:
Ich sehe die Hauptaufgabe des Bundeskriminalamtes darin, das in riesigen Mengen angehäufte Tatsachenmaterial zu allen abseitigen, abweichenden Verhaltensweisen in der Gesellschaft forschend zu durchdringen, um rationale Einsichten der Gesellschaft zur Verfügung zu stellen, ihr eigenes Rechtssystem zu korrigieren und Instrumente bereitzustellen, die Kriminalität verhindern.
Wir müssten zunächst einmal die gewaltige Datenmenge, die die Polizei ja hat, durchdringen und mehrdimensional verknüpfen können. Die heutige Technik würde das bewältigen. Wenn die Datenneurose nicht wäre, wäre das eine einfache Sache ... Was ich anstrebe, ist die Polizei als gesellschaftliches Diagnoseinstrument.

Marx hat es ja mal so schön gesagt, die Polizei wäre der verändernde Faktor der Gesellschaft ... Meine Hoffnung gilt dem Computer als einem gesamtgesellschaftlichen Diagnoseinstrument ... Man muss einen lebenswerten Staat schaffen. Einen Staat der Bürger – einen transparenten Staat. Und den können Sie nur technisch transparent machen. Ja, das ist natürlich ein Sonnenstaat, aber der ist machbar heute. Hier in der Polizei ist das machbar.

Gemeint ist die Transparenz aus dem Blickwinkel des obersten Polizisten – mithin ein Staat, der durch alle seine Bürger hindurchsieht. Dieser Vision haben Herold und seine Epigonen die passende Realität inzwischen nach Kräften hinterher geliefert.

Drei geheime Videokameras wurden in der Nacht zum 6. Dezember 1981 im Frankfurter Hauptpostamt an der Zeil eingebaut. Gerichtet waren die konspirativ getarnten Objektive auf drei Briefkästen. Immer dann – und das kam damals öfter vor – wenn nachts in der Stadt ein Sprengsatz hochging, wurden die Kameras eingeschaltet und tagelang alle jene Passanten gefilmt und ihre Porträts gespeichert, die Post in einen der Briefkästen einwarfen.
Mit Hilfe dieser Observation, die bis zum Februar 1982 lief, wollte das BKA die Absender von Bekennerbriefen fangen. Vorgesehen war deshalb auch, alle eingeworfenen Briefe polizeilich sofort zu überprüfen, ob sie etwa an die „Frankfurter Rundschau“ gerichtet waren, die gelegentlich schon mal Adressat solcher Bekennerbriefe gewesen war.

Wer immer in solchen Tagen dort arglos seinen Leserbrief einwarf, auf eine Annonce antwortete oder der Redaktion eine Mitteilung zusandte, geriet automatisch in schwersten Verdacht und galt als potentieller Bombenleger. Ob und wann seine Persönlichkeitsdaten vom BKA vom BKA-Computer wieder gelöscht wurden, ist nicht bekannt – nur, dass der Vorgang auch einen Angriff auf die Pressefreiheit darstellt, zu der unbestritten der Anonymitätsschutz für die Informanten zählt.

In welchem Ausmaß Persönlichkeitsrechte durch eine immer stärker ausufernde Videofahndung inzwischen verletzt werden, zeigt beispielsweise die Observation jener 120.000 friedlichen Demonstranten, die am 14. November 1981 in Wiesbaden die Übergabe der 220.000 Unterschriften für das Volksbegehren gegen den Bau der Startbahn West begleiteten.

Alle Kameras der Stadtwerke Wiesbaden, die an verschiedenen Stellen zur Verkehrslenkung installiert sind und laut Fernmeldegenehmigung der Bundespost auch nur zu diesem Zweck betrieben werden dürfen, wurden zur Kripo durchgeschaltet, ohne dass die Post darüber auch nur informiert wurde.
Doch der Polizei genügte das nicht. Auf Anforderung des Wiesbadener Polizeipräsidenten steuerte das BKA noch eine Spezialanlage mit zwei Videokameras und Laserstrahl-Sender bei, um die Abschlusskundgebung auf dem Elsässer-Platz in allen Einzelheiten zu erfassen.

Kameras und Sender wurden im Hochhaus des Arbeitsamtes eingebaut, hinter der Fensterscheibe im Konferenzsaal. Der Direktor und sein Justitiar stimmten nach Absprache mit dem Landesarbeitsamt der fragwürdigen Amtshilfe zu. Bedenken gab es ausnahmsweise beim BKA, denn die übliche Blanko-Vollmacht fehlte: Die Überwachungsaktion war schließlich nicht auf Terroristen gezielt. BKA-Präsident Boge erteilte die Weisung selber.
Die eingesetzten Zahnfach-Zoom-Objektive machen es möglich, Porträt-Aufnahmen jedes beliebigen Demonstranten zu schießen und per Laserstrahl zur Empfangsstation mit Datenspeicher ins Polizeipräsidium zu senden. Bei Bedarf lässt sich festhalten, wer wo mit welchem Spruchband neben wem im Demonstrationszug mitgelaufen ist – perfekte Kontrolle von Personen, die nur vom Grundrecht der Versammlungsfreiheit Gebrauch machen.
Da passt ins Bild, dass sich die neue Bonner Koalition mit Eifer für das Vermummungsverbot engagiert. Denn wer will schon Millionen für den Ausbau der Videofahndung ausgeben, wenn er dann nur Wollschals, Helme und PLO-Tücher auf den Bildspeicher kriegt.

Geheimkameras hinter den Fensterscheiben von Hochhäusern sind für niemanden auszumachen. So lassen sich Wohngemeinschaften, Universitätsgebäude, Flughäfen, Kernkraftwerke, Jugendtreffs, Versammlungslokale, Parteibüros, Kneipen oder Ecken für Stricher problemlos observieren und alle Daten aus Langzeitbeobachtungen zu einem Bild zusammenfügen, das für jedweden Amtsgebrauch ein Profil der betroffenen Persönlichkeit hergibt – nichts Privates bleibt privat, wenn es der große Bruder nicht will.

Im Wiesbadener Bundeskriminalamt läuft ein Forschungsprogramm, das jene Technik weiterentwickeln soll, mit der sich alle Bilder digital zerlegen, also in Zahlen auflösen und dann jederzeit abrufbar speichern und abgleichen lassen.

Neue Denkanstöße für immer perfektere Observationstechniken erhalten die Wiesbadener Fahnder gelegentlich auch aus England, dessen Polizei- und Abwehrexperten an Raffinement und Erfindungsreichtum in manchen Bereichen auch den Amerikanern überlegen sind.

Britische Techniker haben eine Maschine entwickelt, mit der sich ein Loch von einem halben Millimeter Durchmesser auch durch jede beliebig dicke Betonwand treiben lässt. Die Bohrung dauert zwar sechs bis acht Stunden, geht aber absolut geräuschlos vonstatten.
Durch den Hohlraum wird dann ein Nadelöhr-Objektiv geschoben, das mit seiner Weitwinkel-Optik geheime Videoaufnahmen aus Wohnungen, Geschäftsräumen und Hotelzimmern ermöglicht. Das winzige Loch lässt sich in Deckenhöhe anbringen und ist damit so gut wie unsichtbar. Die Endoskop-Optik mit eingebautem verstellbarem Spiegel verhindert, dass ein toter Winkel dem Observantenblick entgeht.

Kriminalrat Bach vom BKA ließ sich das Gerät in England vorführen, war beeindruckt und traf gleich die nötigen Abmachungen, damit die Videowanze auch im deutschen Polizeiapparat heimisch wird.
Richtig abrunden lässt sich das Werk der totalen Überwachung aller Bürger mit dem Ausbau des Kabel-Kommunikationssystems. Spätestens dann können die letzten privaten Schlupflöcher im elektronischen Fangnetz zugeschnürt werden. Wer will noch ausschließen, dass dies auch gewollt ist und als eines unter anderen Antriebsmomenten hinter allem staatlichen Planungseifer steckt.

Die zunächst mit Kupfer-Koaxialkabeln, später mit Glasfaserkabeln ausgelegten Breitbandnetze werden den heutigen Fernsprechverkehr dann um ein zweites, ungleich leistungsfähigeres Ortsnetz ergänze, auf dem neben vielen Fernseh- und Hörfunkprogrammen auch noch zahlreiche andere Formen der Text-, Daten- und Bildkommunikation verwirklicht werden können.

Damit soll sich die elektronische Massenkommunikation vom reinen Verteilen weniger laufender Programme durch etablierte Rundfunkanstalten zum Vermitteln der unterschiedlichsten Informationsangebote wandeln, aus denen der einzelne je nach Geschmack individuell auswählen kann.
Jeder Haushalt soll dann auf seiner eigenen Leitung über die Informationszentrale alle Informationsangebote so anwählen können wie heute den individuellen Fernsprechpartner. Einzelne Textinformationen ließen sich dann genauso heranschaffen wie eine Zeitung, ein Buch, ein Film oder ein Musikstück und kämen alle direkt auf den häuslichen Bildschirm.

Nicht nur das: Die zunächst inselartig geplanten Breitband-Ortsnetze sollen später durch Querverbindungen zu einem flächendeckenden, vielkanaligen Netz ausgebaut werden, über das jeder Teilnehmer über sogenannte Rückkanäle nicht nur seinerseits mit der Zentrale, sondern mit den Anbietern aller möglichen Dienste – beispielsweise Fernseheinkauf, Gesundheitsberatung, Auskunfteien, Zahlungsverkehr, Fernunterricht – individuell in Verbindung treten kann.
Dabei lassen sich technisch sämtliche Benutzerdaten mit der Elektronik erfassen. Wo für die Inanspruchnahme einzelner Dienste gesondert gezahlt werden muss, ist es geradezu erforderlich, ganz präzise festzuhalten, wer wann wie lange welche Programme und Dienste in Anspruch nimmt.
Ein ideales Feld für jedwede Rasterfahndung, weil sich mühelos individuelle Nutzerprofile daraus ableiten lassen. Zumal der Bund die Fernmeldehoheit inne hat, dürfte der Polizei auch zum neuen Netz der Zugang offen stehen – wie heute schon zum Telefonnetz, das bei der „Aktion Paddy“ für die Überwacher auch nicht tabu war. Im Gegenteil, künftig wird es noch glatter abgehen: Beim Bigfon-Netz sind alle Verstärker schon eingebaut.

Die Zusammenarbeit der Observanten mit der Post könnte schon heute kaum besser sein. In einem Aktenvermerk des Bundesinnenministeriums vom 19. Februar 1982 wird die Übereinkunft zwischen Polizei und Post so skizziert: „Sofern ein größerer Bedarf erkennbar wird, erklärte man sich bereit, durch betrieblich-organisatorische Maßnahmen ... eine schnelle Verfügbarkeit der Übertragungswege sicherzustellen.“

Wie oft jemand ein bestimmtes politisches Fernsehprogramm anwählt, ob er Porno oder Elektronikkurse bestellt, wofür er sein Konto auf der Bank belastet, in welchen Bibliotheken er was für Bücher ausleiht, welche Urlaubsreise er mit wem zusammen bucht, ob er mit seinem Arzt über Entzugsprobleme kommuniziert und welche Infos er aus dem Videotext-Angebot bezieht – das alles wüssten auch Fahnder gern, die wie Herold die transparente Gesellschaft wollen, um daraus polizeiliche Erkenntnisse abzuleiten.

„Die Einführung dieser Medien“, sieht Ruth Leuze, die baden-württembergische Landesbeauftragte für den Datenschutz, voraus, „wird zur Anlegung umfangreicher Sammlungen personenbezogener Daten führen ... die auch für die öffentliche Verwaltung und Politik ... vor allem für die Polizei und die Nachrichtendienste von Bedeutung sein werden.“ Ruth Leuze: „Das Überwachungspotential würde ausgedehnt. Zumindest in einem späteren Zeitpunkt würde eine völlige Verhaltenskontrolle ermöglicht.“ Werner Schmidt, promovierter Mathematiker beim Bundesdatenschützer Bull: „Rasterfahndung und ihre Auswertung ist auf der Kabel-Kommunikationsebene weniger personalintensiv und funktioniert praktisch allein mit technischen Mitteln. Man kann den Gesamtstrom aller Informationen dann sozusagen über ein Sieb laufen lassen – mit bequemen Zugriffsmöglichkeiten auch für die Polizei.“
Bei dem geplanten Bigfon-Netz kann jede einzelne Glasfaser 30 Signale gleichzeitig und parallel übertragen – selbstverständlich auch Videobilder, was immer dann alle offen oder konspirativ surrenden Kameras an Daten nur hergeben, sekundenschnell und quer durch die ganze Republik.
Der Eingriff in die Persönlichkeitssphäre wird dann nach Ansicht der Stuttgarter Datenschützerin Leuze „noch stärker, wenn nicht nur seine Meinungsäußerung, sondern auch sein Bild gespeichert wird. Die persönliche Situation des Teilnehmers in einem bestimmten Zeitpunkt, seine Gefühle und Regungen, die nicht unbedingt in Worten zum Ausdruck kommen, werden auf diese Weise jederzeit reproduzierbar gemacht“.

Letzte Rettung Datenschutz? Wohl kaum – der Zielkonflikt ist bereits benannt. Bonns Bull hält es für ein „Gebot der Rechtsstaatlichkeit, diese Bedrohung von Individualinteressen, zurückzudrängen“. Doch die Front seiner Gegner, die ihn jetzt auch ablösen wollen, ist stärker.
Generalbundesanwalt Rebmann setzt die Prioritäten auf seine Weise: „Sicherheit geht vor Datenschutz – nicht umgekehrt.“ Und Zimmermanns Staatssekretär Carl-Dieter Spranger hatte sich als Auditorium speziell die BKA-Mitarbeiter ausgewählt, um die neue Losung zu verkünden: „Datenschutz hat nur eine dienende Funktion und keinen absoluten Vorrang vor den Erfordernissen der öffentlichen Sicherheit.“

Der Fortschritt in der Mikroelektronik ermöglicht bereits die digitale Übertragung und Vermittlung. Sprache, Daten und Bilder werden dann in Form digitalisierter, also in Zahlen übersetzter Impulse übertragen, was den Direktanschluss mit allen rechnergesteuerten Informationssystemen erlaubt.
Über Halbleiterkameras auf Digitalbasis verfügt die Polizei dank eines britischen Forschungsprogramms schon heute. Eingebaut beispielsweise an Autobahnbrücken und Grenzkontrollstellen sollen die Geräte automatisch notieren, wann und in welche Richtung welche Fahrzeuge unterwegs sind, deren Kennzeichen-Nummer dem Systemcomputer eingegeben waren.

Ist erst das fälschungssichere Kfz-Kennzeichen eingeführt, lassen sich Mobilitätsprofile sämtlicher Autofahrer entwickeln, alle zur Fahndung ausgeschriebenen Fahrzeuge automatisch orten und daraufhin abfangen.
Selbst die automatisierte Personenfahndung ist nur mehr eine Frage der Zeit, und dann wird das menschliche Gesicht im Jargon der Polizei zum Personenkennzeichen.

Ihre üblichen Phantombilder erstellt die Kripo heute nach bis zu 30 Einzelmerkmalen. Augenabstand, Nasenlänge und Gesichtsschnitt spielen dabei ebenso eine Rolle wie beispielsweise Stirnhöhe, Ohrenform und Kinnpartie. Alle diese Daten lasen sich auch in Zahlen umsetzen und in einen guten Computer füttern, der mit einer Digital-Halbleiterkamera verbunden ist. Sie wandelt sämtliche Lichtimpulse, die sie von einem Objekt empfängt, automatisch in Zahlen um.
Auf eine beliebige Menschenansammlung gerichtet, gleicht diese Kamera die Impulse mit den gespeicherten Suchbild-Daten ab, sortiert die Zielperson heraus und alarmiert sekundenschnell die lauernden Observanten.

Die Festnahme erfolgt noch von Hand.