Hatten Sie Geschlechtsverkehr?
(Nr. 1/1983, Spiegel-Titel: „Der Orwell-Staat“, Nr. 2/1983, „Orwell-Jahr
1984“)Als einfacher Polizist bin ich erschüttert. Mehr noch –
angeekelt! Wetten, jetzt bin ich auch gespeichert?Bochum HELMUT PREIN
Sie haben wohl Angst vor dem neuen Innenminister?
Flensburg NORBERT CLEMENS
Die Polizei ist zur Verbrechensbekämpfung gesetzlich verpflichtet. Die
Polizei muss sich auch mit Abfragepraktiken befassen, da die für die Verbrechensbekämpfung
erforderlichen Informationen in allen gesellschaftlichen Bereichen aus konventionell
geführten Karteien in elektronisch betriebene Dateien übernommen werden.
Polizeiarbeit erfordert immer auch die Erfassung von Daten von Unverdächtigen
(Anzeigenden, Zeugen und anderen). Die Polizei ist kein homogener Apparat mit
einer einheitlichen, steuerbaren Willensbildung. Keine polizeiliche Maßnahme
oder Absicht bleibt verborgen.
Datenschutz ist Grundgesetzverwirklichung, Verbrechensbekämpfung aber auch.
Kompromisse sind erforderlich.
Düsseldorf HANS-WERNER HAMACHER
Direktor des Landeskriminalamtes Nordrhein-Westfalen
Es würde mich nicht im geringsten stören, und ich würde es auch
nicht als Einschränkung meiner Persönlichkeitsrechte empfinden, wenn
ich in einer Rasterfahndung oder eine Observationsaktion geriete. Ich habe weder
ein schlechtes Gewissen noch bin ich Gegner unseres Staates.
GISVERT VON WERSEBE
Im Herbst 1981 unternahmen wir – eine Gruppe von 30 Schülern des
Humboldt-Gymnasiums Dortmund – eine Studienfahrt nach Ungarn. Wir hatten
mit anderen Schülergruppen aus Ungarn und der DDR regen Kontakt. Wir tauschten
unsere Adressen aus, und es entwickelten sich einige Brieffreundschaften.
Im Juli und Oktober 1982 wurden die meisten meiner Mitschüler zum Wehrdienst
eingezogen. Einer meiner Mitschüler wurde seit Oktober 1982 über zehnmal
vom MAD verhärt. Man hatte seinen Briefkontakt überwacht und legte
ihm in den Verhören die Liste der Absender vor.
Mein Freund musste dem MAD erläutern, welche Beziehung er zu jedem der
Absender habe. Dann legte der MAD eine Liste aller Verkehrsverstöße
meines Freundes vor. Hier waren jedoch nicht nur die mit Punkten in der Flensburger
Zentralkartei geahndeten Vergehen, sondern auch nahezu jedes falsche Parken
genau festgehalten.
Die Verhöre des MAD gipfelten in der Frage: „Hatten Sie in Budapest
Geschlechtsverkehr?“
Dortmund STEPHAN PAUL
Man beachte die positiven Aspekte der BKA-Video-Observation. Die Kameras beobachten
sogar das hocherotische Geschehen hinter Büschen und Sträuchern. Das
kann zu willkommenem BKA-Beweismaterial für die Vaterschaftsklage verhelfen.
Romantiker können vielleicht später den Zeugungsakt, der zum Stammhalter
(Marke: Waldemar führte, als bleibende BKA-Erinnerung in Wiesbaden abrufen
– und all das über viele Jahrzehnte!
Und nicht zuletzt hat die Geschichte einen sozialen Aspekt: Voyeure (auch Bundeskriminalisten
sind nur Menschen) brauchen sich nicht mehr auf dem kalten Waldboden der Erkältungsgefahr
auszusetzen.
Wir gehen herrlichen Zeiten entgegen.
Buchen (Bad.-Württ.) MICHAEL-UWE DREYLING
Als wir West-Berliner noch ungehindert in den Ost-Sektor fahren konnten, atmete
ich jedes Mal auf, wenn ich den sogenannten demokratischen Sektor verlassen
hatte. Heute, nach über dreißigjähriger Bundesrepublik-Erfahrung,
würde ich noch befreiter aufatmen, wenn ich unseren sogenannten sozialen
Rechtsstaat für immer in Richtung freier Westen verlassen könnte.
Berlin RICHARD MOKELKE
Bei der gesetzlich zugelassenen „Überwachung und Aufnahme des Fernmeldeverkehrs“
findet eine Raumüberwachung bereits mit Abnehmen des Telefonhörers,
Wählen einer Nummer statt, auch wenn kein Anschluss zustande kommt. Quelle:
Einsichtnahme in Abhörprotokolle während meiner Tätigkeit beim
Anwalt.
Bonn GEORG SCHMIDT Referendar
Natürlich ist Sicherheit ein multifaktorales Problem! Damit ist aber doch
in keine Weise die Allzuständigkeit der Polizei gefordert. Im Gegenteil:
dadurch wird gerade die Begrenzung der Einwirkungsmöglichkeiten der Polizei
herausgestellt und der verpflichtende Freiraum für die eigentlich anzusprechenden
Kräfte deutlich gemacht. Kennt man vor lauter Vorbehalten gegen die Polizei
nicht mehr die eigentlichen Verantwortungsbereiche und Fortentwicklungsmöglichkeiten?
Wird dadurch der SPIEGEL nicht zum „Anti-SPIEGEL“?
Stuttgart DR. STÜMPER
Landespolizeipräsident von Baden-Württemberg
Und da behaupten tatsächlich prominente bundesrepublikanische Politiker,
dass wir noch nie so frei waren. Allerdings, soo frei nicht.
Saarbrücken ERICH FRITSCH
Alle diese angeblich schrecklichen Dinge wie Rasterfahndung oder Überwachung
des Hauses des US-Generals Kroesen passierten unter der Regierungszeit der SPD/FDP-Koalition,
unter einem Kanzler Schmidt und einem Innenminister Baum. Der jetzige Bundesinnenminister
Dr. Friedrich Zimmermann kann für die Anwürfe des SPIEGELS noch nicht
einmal theoretisch in die politische Verantwortung genommen werden.
Doch gerade deshalb können ihm keine eigennützigen Motive unterstellt
werden, wenn er es bedauert, dass Sachverhalte veröffentlicht werden, deren
Geheimhaltung wegen der nach wie vor notwendigen Terroristenfahndung erforderlich
war. Dank des SPIEGEL wissen jetzt die Terroristen über Fahndungsmethoden
des Bundeskriminalamtes Bescheid. Das ist von erheblichem Schaden für die
innere Sicherheit.
Bundesinnenminister Zimmermann hält es insbesondere für unangebracht,
dem ehemaligen Präsidenten des Bundeskriminalamtes Horst Herold, der sich
bleibende Verdienste im Kampf gegen den Terrorismus erworben hat, in eine Linie
mit den Horrorvisionen von Huxley und Orwell zu bringen. Geradezu in den Bereich
der Absurdität hat sich der SPIEGEL mit der angeblichen Parallelität
der Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjet-Union
begeben. Unseren freiheitlichen Staat, „der Terroristen mit Rasterfahndung
verfolgt“, zu vergleichen mit einem kommunistischen totalitären Staat,
„der seine Gegner in psychiatrische Anstalten steckt“, diese abenteuerliche
These wird bei den bekannt kritischen SPIEGEL-Lesern nicht verfangen.
Bonn WIGHARD HÄRDT
Sprecher des Bundesinnenministeriums
Im Januar 1982 wurden wir während einer friedlichen Demonstration gegen
den Autobahnzubringer in Tegel von bewaffneten Polizisten mit etwa 20 Demonstranten
vom Demozug abgetrennt. In unserer Gruppe waren vorwiegend ältere Leute.
Der Einsatzleiter machte uns per Megaphon ein „Angebot“; entweder
wir werden erkennungsdienstlich behandelt werden, oder wir zögen es vor,
friedlich nach Hause zu gehen. Er versprach uns auch, dass wir in diesem Falle
mit keinen weiteren polizeilichen Maßnahmen bedacht werden. Bei unserem
sogenannten straffreien Abzug wurden wir mit einer Video-Kamera sowie mit anderen
Photoapparaten aufgenommen.
Berlin IRMELA SCHRAM
Die eigentliche Gefahr: das alltägliche Sichfügen in vorgegebene
Verhaltensmuster, das Gefühl, doch nichts ändern zu können und
folglich besser mit dem Strom zu schwimmen. Diese Haltung hat einem totalitären
System nichts mehr entgegenzusetzen, sie ist vielmehr ihr best Nährboden.
Es kann gar nicht oft genug vor einem Heer von Angepassten und Duckmäusern
gewarnt werden.
München SABINE KELTE
Wenn es Aufgabe des Bundeskriminalamtes (BKA) war, die bedrohten Personen zu
schützen, so hat das angewandte System versagt, US-Vier-Sterne-General
Kroesen kam zwar mit dem Leben davon. Das dankt er aber nicht dem System, sondern
dem Zufall, dass das Geschoß vom Holm des Rückfensters seines Wagens
abprallte. Sollte Herr Zabel wirklich gesagt haben, das BKA habe mit seinen
Maßnahmen die Täter an einen für sie extrem ungünstigen
Tatort „abgedrängt“, so unterstellt er damit, die Täter
hätten die Maßnahmen erkannt. Damit macht Herr Zabel sich selbst
etwas vor. Wenn nämlich die Täter die Maßnahmen, falls es sie
gegeben hat, erkannt hätten, würden sie sich schleunigst verzogen
haben.
Der Effekt eines solchen Überwachungssystems liegt weniger im Schutz, den
es bedrohten Personen gewähren kann, sondern in der Gewinnung von Anhaltspunkten
für eine Fahndung, die entsprechend der Aufgabe der Polizei erst nach der
Tat einsetzten kann.
Wirklicher Schutz kann bedrohten Personen nur geboten werden, wenn man sie in
schwer gepanzerten Fahrzeugen transportiert, die durch Begleitfahrzeuge gesichert
werden, bemannt nicht mit Schlafmützen, sondern mit alerten Polizeibeamten,
wie ich sie beider GSG 9 kennen gelernt habe.
Damit wird nicht nur wirksam geschützt, sondern auch die Behelligung unbeteiligter
Personen und jede Beeinträchtigung ihrer Rechte vermieden.
Auch hier gilt: Nicht alles, was technisch machbar ist, ist zweckmäßig.
Das sollten sich auch diejenigen zu Gemüte führen, denen es obliegt,
die Gelder für derartige Hirngespinste zu bewilligen.
Lenggries (Bayern) DR. GÜNTHER NOLLAU
Ehemaliger Präsident des Bundesamtes
für Verfassungsschutz
Der Weg in den Überwachungsstaat scheint mir auch deshalb vorprogrammiert,
weil ihn Politiker entweder wollen wie Innenminister Zimmermann oder erschreckend
unsensibel gegenüber dieser Totalbedrohung unserer Demokratie sind gemäß
der schlichten Meinung: Wer nichts auf dem Kerbholz hat, braucht doch keine
Angst vor Überprüfungen zu haben.
Persönlich bin ich nicht als Sozialist in den Ruf gekommen, ein unverbesserlicher
Linker zu sein, sondern weil ich zu den wenigen gehörte, die gegen den
Kahlschlag liberaler Bürgerrechte nach den Terroranschlägen im Jahre
1977 waren. Ein Beispiel, das der SPIEGEL-Bericht auch erwähnt: Der neue
Personalausweis in Form einer Plastikkarte wird eine jederzeitige Computer-Überprüfung
in Sekundenschnelle selbst vom Streifenwagen aus ermöglichen.
Ich habe im Bundestag niemand gefunden, der meine Auffassung geteilt hätte,
dass sich dadurch der Begriff und Inhalt bürgerlicher Freiheit total ändern
kann: Während sich der Bürger bisher frei bewegen kann, wenn gegen
ihn konkret keine polizeiliche Fahndung läuft, wird er das zukünftig
nur noch können, wenn er bereit ist, sich jederzeit von jeder beliebigen
Polizeistreife überprüfen zu lassen („Es dauert ja nur Sekunden
...“).
Ein erster notwendiger Schritt, um zur liberalen Demokratie im Sinne des Grundgesetzes
zurückzukehren, wäre neben gesetzlichen Veränderungen die Verminderung
des Personalbestandes der Polizei, des Verfassungsschutzes, des Bundeskriminalamtes
und weiterer einschlägiger Behörden und Dienststellen um mindestens
die Hälfte.
Bonn/Paderborn KLAUS THÜSING, MdB/SPD
Michael Braun
Kreisvorsitzender der
Jungen Union
z. Hat. Luxembourg
An die Redation des
S P I E G E L
Postfach 110 420
2000 Hamburg 11
Luxembourg, den 4.1.1983
Betr.: DER SPIEGEL Nr. 1/1983
„Die neue Welt von 1984“
Der Staat hatte seit jeher die Neigung, den Bürger zu überwachen.
Die moderen Mittel der Technik geben ihm nun (1984) auch die Möglichkeit
dazu. Notwendig ist deshalb eine wirksame Kontrolle des Staates, die solange
nicht gewährleistet ist, solange der Staat seine Akten der Öffentlichkeit
nicht zugänglich macht und sich hinter dem obrigkeitsstaatlichen Prinzip
des Amtsgeheimnisses verschanzen darf. Weitsichtiger und klüger als wir
heute erweist sich da eine königlich-preußische Kabinettsorder vom
4. Februar 1804, die folgenden Wortlaut hat:
„Wollte man eine gewisse und schickliche Art von Öffentlichkeit ganz
verweigern, so würde kein Mittel übrig bleiben, die Nachlässigkeit
oder Treulosigkeit öffentlich angestellter Staatsdiener zu entdecken. Hingegen
bleibt diese Öffentlichkeit das sicherste Mittel, sowohl für die Regierung
selbst als auch für das Publicum, gegen die Sorglosigkeit oder die unlauteren
Absichten der Behörden, und sie verdient daher befördert und in Schutz
genommen zu werden.“
Michael Braun
Postkarte an:
SFB / Rundfunk Redation SF Beat
Masurenallee1000 Berlin 19
Liebe Leute vom SF Beat!
Zur Stützung des Rückgrats :
Ich fand die Sendung mit dem Bernd zum Thema Videoüberwachung ganz toll.
Umso erschrockener war ich, als ich die Hörerstatements mitbekam. Trotzdem,
macht so weiter und lasst Euch nicht unterbuttern. Wegen totaler Arbeitsüberlastung
nur eine Karte.
Für mich und viele andere Bekannte von mir.
Matthias
Ulrike Eles
Mal.-str. 20
1000 / 65
Betr.: SF Beat 23.01.83
Wortwechsel
Ich bin sehr froh über die mutige Sendung, so habe ich doch das Gefühl,
im Radio ein Problem behandelt zu sehen, was mich, sowie jeden halbwegs sensiblen
Menschen, betrifft.
Nicht die Angst vor Strafverfolgung, sondern der totale Verlust der Privatheit
und die Angst vor der Verselbständigung der Technik bedrücken mich.
Ich versteh auch nicht, wieso die empörten Hörer, die sicher ebenso
bei jeder Dämmerung die Gardinen zuziehen, damit ihnen keiner rein guckt,
sich beglückt fühlen, überwacht zu werden. Wenn ich mir vorstelle,
dass die Leute an ihrer Arbeitsstelle auch sowenig ihre Arbeit in einem Gesamtzusammenhang
sehen, wie diese Überwachung, wird mir Angst und Bange. So Leute
wie Bernd Schmidt allerdings lassen mich hoffen. - Backwan hin und
her – dass die Menschen in einflussreichen Positionen sehen was sie tun,
wenn sie ehrlich zu sich sein können und ihre Gefühle verstehen.
Die Sendung hat viele Diskussionen im breiten Freundeskreis ausgelöst und
Erleichterung darüber, dass wir anscheinend doch nicht einer Entwicklung
gegenüberstehen, der wir hilflos ausgeliefert sind.
Leider sind die lieben Leute nur zu faul zum schreiben, die empörten Hörer
sind da sicher eifriger. Ich kann Euch jedenfalls versichern, viel Zustimmung
zu der Sendung gehört zu haben.
Viele Grüße
Ulrike E.
Solidarische Grüße Karin Hofmann
Dirk-Michael Schulze