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Interview mit dem Bundeskriminalamtsaussteiger Bernd Schmidt
taz Donnerstag, 13.1.1983
Am 14. November 1981 kamen 120.00 Demonstranten nach Wiesbaden, um
die gesammelten Unterschriften für das Volksbegehren gegen die Startbahn
West zu überreichen. Du warst auch dabei, es war die erste Demonstration
Deines Lebens. Wie ist es für Dich dazu gekommen?
Ich hatte die Proteste gegen die Startbahn West zustimmend verfolgt, war
aber selbst nie auf den Demonstrationen in Frankfurt gewesen, auch aus
Zeitgründen. Weil ich aber in Wiesbaden gewohnt habe, war es für
mich klar, da hinzugehen. Dazu kam, dass ich ja die Überwachung installieren
sollte und schon deshalb sowieso dort war.
Du hast die Video-Überwachung einer Demonstration installiert,
an der Du Dich dann selbst beteiligt hast?
Richtig. Ein paar Tage vorher hatten wir vom Polizeipräsidium Wiesbaden
die Anfrage gekriegt, ob wir das nicht absichern können. Als Amtshilfe.
Ich habe dann eine Kamera auf dem Dach des Arbeitsamts installiert und
sie hinterher wieder abgebaut, also diese beiden Welten mitbekommen.
Hattest Du nicht das Gefühl, zwischen diesen beiden Welten zu
stehen, nirgends richtig dazuzugehören?
Ich habe bemerkt, dass da Menschen sind, die sich persönlich für
etwas einsetzen, was ihnen wichtig ist und hatte andererseits noch die
ganzen Reaktionen und Meinungen der Polizei im Kopf, die ganz andere Sorgen
hatte. Ich hatte ja die Vorbereitungsphase auf seiten der Polizei erlebt,
auch am Samstagmorgen noch, wo die Bereitschaftspolizisten unheimlich
intensiv diskutiert haben über Abfindungen und Überstunden,
also das, was für die wichtig war. Oder auch einige Tage vorher,
welche Einstellung dieser Arbeitsamts-Präsident hatte. Der wollte
sich erst beim Landesarbeitsamt absichern, dann hatte er Angst um sein
Amt und fragte uns, ob er die Jalousien runterlassen sollte. Da wären
doch auch bestimmt Arbeitslose unter den Demonstranten, und man weiß
ja nie, ob die nicht auch aufs Arbeitsamt ihre Wut kriegen. Dann hat er
uns auch hinterm Haus einen Steinhaufen gezeigt und wollte unsere Einschätzung
zu seiner Sicherheit wissen.
Als ich dann am Samstagmittag unten war bei den Demonstranten, habe ich
hochgeschaut zum Arbeitsamt und wusste, da sind jetzt die Kameras, die
runtergucken. Da ist mir klargeworden, dass ich eigentlich viel mehr zu
diesen lebendigen Menschen hier unten gehöre als zu den Kameras da
oben. Mir ist auch aufgestoßen, dass Wiesbaden bei solch einer Menschenmenge
so ausgestorben war. Die Schaufenster waren teilweise mit Brettern zugenagelt,
keine Menschen an den Fenstern, viele Fensterläden waren zu. Das
drückt ja einen Gegensatz zu der Lebendigkeit dieses Menschenstroms
aus, das war so sichtbar.
Am nächsten Tag bist Du dem Aufruf Schubarts gefolgt, den Flughafen
zu besuchen.
Da bin ich hingegangen, um selbst mal einen Eindruck zu bekommen. Ich
habe dann dort die Beobachtungsposition verlassen, die ich sehr häufig
in meinem Leben, auch während der Zeit im BKA, innehatte. Das war
mit persönlicher Bestürzung und mit Schmerzen verbunden.
Was ist da genau passiert?
Dadurch, dass ich mich mit den Zielen der Demonstranten identifiziert
habe, habe ich zum ersten Mal eine Frontstellung empfunden. Ich habe also
Polizisten jetzt fast als Gegner gesehen. Die haben mich teilweise selbst
auf die Autobahn gedrängt, wo ich gar nicht hinwollte. Da ist Gewalt
von der Polizei ausgegangen, die mir unsinnig vorkam. Ich habe keinen
strategischen Sinn dahinter gesehen. Die Wasserwerfer-Einsätze kamen
mir zum Teil vor wie aus Jux. Der sitzt da in seinem vergitterten Lastwagen
und spritzt die Leute mit Tränengas voll. Da hab ich gedacht, das
ist doch nicht die Polizei!
Ich war empört, ich hab auch sehr häufig dieses „Aufhören,
aufhören!“ gerufen wie die anderen Leute. Einen einzelnen Polizisten,
der mir vorkam wie eine gewissenlose Marionette, habe ich angeschrieen:
„Der kann doch nachts nicht mehr schlafen!“ Wenn er so weitermacht,
meinte ich. Damit habe ich natürlich eigentlich mich selbst gemeint,
aber das sind Sachen, die so schwer zu beschreiben sind.
Du hast doch danach noch eine ganze Weile beim BKA gearbeitet. Bist
Du wieder in die Beobachterposition zurückgekehrt?
Nein. Das war allein schon wegen der Darstellung der Vorfälle in
der Presse ganz unmöglich. Die Barrikaden waren angezündet worden,
weil die Leute, die naßgespritzt worden waren, sich wärmen
wollten. Die Krankenfahrzeuge sind sofort durchgelassen worden. Und ich
habe das alles noch Wochen später in den Medien und in den Polizeiberichte
n überall total anders und extrem aus der polizeilichen Sicht geschildert
bekommen, in einer Art, die mit dem, was ich mitbekommen hatte, überhaupt
nichts zu tun hatte. Das hat mich tief erschreckt, da hab ich gemerkt,
dass da eigentlich fast schon Propaganda betrieben wird.
Mir ist auch nachträglich klargeworden, dass es höchst wahrscheinlich
zu einer Absicherung des Flughafens mit Video gekommen wäre, wenn
der Aufruf nicht so kurzfristig gewesen wäre. Dann wären wohl
alle oder ein großer Teil der Leute aufgezeichnet worden und im
Prinzip ich auch. Sehr viele, die wie ich an den Auseinandersetzungen
selbst nicht beteiligt waren, wären auf Grund von Videobändern
wegen Landfriedensbruch angeklagt worden, wie es bei den Grohndeprozessen
inzwischen geschieht. Das hat mir den Hintergrund meiner Arbeit sehr stark
verdeutlich. Die ganze Technik, die da für den Terrorismusbereich
entwickelt wird, kann eben naturgemäß auch für alle anderen
Bereiche entsprechend eingesetzt werden. Und das verstärkt sich tendenziell
immer mehr.
Worin erkennst Du diese Tendenz?
Die flächendeckende Überwachung mit Hilfe von Videoübertragungsstrecken
ist vom zuständigen Arbeitskreis II der Innenministerkonferenz als
neue Strategie akzeptiert worden, und zwar für alle taktischen Bereiche.
Ein Auto, das einen Fernsehsender im Kofferraum hat und eine versteckte
Kamera, ist dann zwar für den TE-Bereich entwickelt worden, kann
aber genauso gut zu einer Demonstration fahren und da alles aufzeichnen.
Die Unzufriedenheit der Leute, die sich in Demonstrationen ausdrückt,
wird halt zur Kenntnis genommen, ohne dass man auf die Gründe eingeht.
Wenn dann eine Demonstration, egal durch welche Maßnahmen, in die
Gewalt getrieben wird, wird es nötig, Beweisführungen zu entwickeln.
Der Ruf der Länderpolizeien nach Observationsmitteln gegen Demonstrationen,
die in Gewalt ausarten könnten, wird immer lauter. Ich habe selbst
die Anfragen auf den Tisch bekommen. Es besteht ein ganz großer
Bedarf, und da ist halt die ganze Videotechnik ein hervorragendes Mittel,
das auch vor Gericht verwertet werden kann.
Ich habe also festgestellt, dass ich durch meine Arbeit nichts anderes
betreibe als Aufrüstung. Dass ich neue „Kampfmittel“
entwickele, um Probleme beherrschbar zu machen, die man nicht an der Wurzel
beseitigen will oder kann.
Sind solche Fragen unter den Kollegen im Amt diskutiert worden?
Die politischen Dimensionen und Konsequenzen des Ganzen sind totgeschwiegen
worden „zumindest im Kriminalstischen Institut, wo ich gearbeitet
habe. Das ist von oben bis unten voll mit Wissenschaftlern, die zum restlichen
BKA kaum Verbindungen haben. Da sind weder persönliche noch politische
Gespräche jemals intensiv geführt worden. Gegen Umweltverschmutzung,
versaute Luft in Wiesbaden wurde schon mal gewettert, auch zur Startbahn
gab`s ab und zu mal Meinungen, aber persönliches Engagement war nicht
drin.
Nach der Starbahn-Demonstration habe ich erzählt, dass ich auch dort
war und dass es noch so passiert ist wie die Zeitungen geschrieben hatten.
Dass die Aktionen auf der Autobahn ziemlich spontan gewesen seien, nicht
geplant. Da meinte mein Chef, nee, die haben ja Leitplanken abmontiert,
da müssen sie ja Schlüssel dabeigehabt haben. Das muss organisiert
gewesen sein. Ich hatte zwar selbst gesehen, wie einfach immer mehr Leute
gewuchtet haben, aber das ganze Thema war damit vom Tisch.
Es hat auch keine Einwände dagegen gegeben, dass das BKA sich
an der Überwachung der Demonstration in Wiesbaden beteiligt?
Der Abteilungsleiter, der dafür verantwortliche war, dass wir installieren,
hat schon gespürt, dass das nicht mehr so ganz die übliche Art
ist. Er hat gesagt, er hätte vom Polizeipräsidium was Schriftliches
verlangt und dieses Schriftstück hätte er dem BKA-Präsidenten
gegeben und der hätte es abgesegnet. Damit er die Verantwortung nicht
selber trägt.
Aufgespießt für die Staatsschutzkammer
des Oberlandesgericht Frankfurt |
Einer für Alle - Alle für
Einen (Flugblatt - Vorderseite)
Im Prozess gegen Alexander Schubart vor dem Oberlandesgericht Frankfurt
steht die Urteilsverkündung bevor.
Bundesanwaltschaft und Verteidigung haben ihre Plädoyers abgegeben,
A. Schubart hat sein Schlusswort gehalten. Gegen die geforderten
zwei Jahre ohne Bewährung haben die Verteidiger Freispruch
verlangt. Dieser Prozess ist von Anfang an ein politischer Prozess gewesen,
unabhängig davon, mit welchen juristischen Mitteln er im Einzelnen
geführt wird. Die Staatsraison des Landes Hessen verlangt eine Bestrafung
des Volksbegehrens gegen die Startbahn West, ausgeführt am Beispiel
Alexander Schubart. Es ist mit einem Urteilsspruch am Mittwoch, den 19.
Januar zu rechnen. Die bisherige Verhandlungsführung durch das Gericht
deutet auf eine Verurteilung hin.
Dies würde bedeuten: Eine Protestbewegung wird kriminalisiert,
sobald sie einen solchen Druck erzeugt, dass die Regierenden in echte
Bedrängnis geraten, ihre Politik weiter zu verfolgen. So erklärte
Oberstaatsanwalt Lampe mit erschreckender Offenheit: Wer wie in Gorleben
versucht, Verhältnisse herzustellen, in denen der Bau der Startbahn
West politisch nicht durchzusetzen ist, macht sich der Nötigung von
Staatsorganen strafbar. Damit stellt sich diese Demokratie ein Zeugnis
aus: Protest ja – aber nur solange sich nichts verändert. Ein
Urteil, das selbst eine Rede unter den Strafbestand „Nötigung
von Staatsorganen“ stellt, soll der Friedensbewegung, der Gewerkschaftsbewegung
und allen anderen sozialen Bewegungen Ketten anlegen.
Darüber hinaus soll der Vorwurf des schweren Landfriedensbruchs A.
Schubart als Gewalttäter abstempeln, um die ganz offensichtliche
Verantwortung der Landesregierung und der Polizei für die Gewalt
im Startbahnkonflikt vergessen zu machen und sie den Startbahngegnern
zuzuschieben. Denn er sei als „Rädelsführer“ verantwortlich
zu machen für das, was am 15.11.1981 vor dem Flughafen geschah. Doch
erstens wurden die Auseinandersetzungen, die es dort gab, durch Angriffe
und Übergriffe der Polizei erzeugt. Zweitens war A. Schubart an diesem
Tag nicht anwesend, und drittens at er sich ständig für Gewaltfreiheit
eingesetzt. Gerade die Absurdität dieser juristischen Konstruktion
beweist, dass es hier um handfeste politische Interessen geht.
Mit einer Verurteilung A. Schubart würde die deutsche Justiz erneut
ihr vordemokratisches, autoritäres Staatsverständnis zeigen.
Kann die Obrigkeit nicht ungestört regieren, dann hilft ihr die Justiz
als scheinbar unabhängige Kraft aus dem Schlamassel, indem sie den
Störfaktor, protestierenden Bürger, bestraft.
Folgt der Dachlatten-Politik jetzt die Dachlatten-Justiz?
Wenn A. Schubart am 19. Januar verurteilt wird, demonstrieren wir am Samstag,
den 22. Januar in Frankfurt.
Wir fordern Straffreiheit für Aschu und alle anderen von der Justiz
belangten Startbahngegner. Wir demonstrieren gegen den Obrigkeitsstaat
des „Modell Deutschland“, der seine Bürger mit einer
Armada von Polizisten, mit perfekten Überwachungsmethoden, mit manipulierten
Medien und schließlich mit Prozesslawinen überrollt. Wir sprechen
diesem Staat das Recht ab, auch nur einen einzigen Startbahngegner wegen
seines legitimen Widerstandes zu verurteilen.
SOLIDARITÄT MIT ALEXANDER SCHUBART !
KEINE STARTBAHN WEST UND NACHTFLUGVERBOT !
DEMONSTRATION AM SAMSTAG, DEN 22. JANUAR, 343 Tage vor 1984
TREFFPUNKT PAUSLPLATZ, 11 UHR
ABSCHLUSSKUNDGEBUNG VOR DER ALTEN OPER ca. 13 UHR
Die Demonstration wird unterstütz von :Aktionskreis Leben Gewerkschafter
gegen Atom, Asta Fachhochschule Frankfurt, Asta Universität Frankfurt,
BI gegen den Bau der Startbahn West, Bundesverband Bürgerinitiativen
Umweltschutz (BBU), B.U.N.D. LV Hessen, Bunte Hilfe, Demokratische Sozialisten,
Deutsche Friedensunion (DFU) LV Hessen, GEW Frankfurt, DIE GRÜNEN
Frankfurt (Vorstand), Gruppe Internationaler Marxisten (GIM), Hessische
Komitees gegen Berufsverbote, Komitee Solidarität mit Alexander Schubart,
Kommunistischer Bund Frankfurt (KB) MLPD
Spendet für die Prozesskosten: Postscheckkonto Ffm 36 2545-608,
Sonderkonto Karin GäßlerV.i.S.d.P.: Benny Peiser, Komitee „Solidarität
mit Alexander Schubart“, Hamburger Allee 49, 6 Ffm. |